Käpt'n Ebbs Seebär und Salonlöwe
stehe im Telefonbuch.»
«Sooft Sie in der Stadt sind», erklärte Brigadier Broster unwirsch, «wird es mir ein Vergnügen sein, mit Ihnen zu dinieren. Sie können mich über das Carlton erreichen.»
Eine Schreibwut fegte über den Tisch dahin, als die Passagiere ihre
Adressen austauschten. Gereiztheit, Zänkereien und Eifersüchteleien einer Seereise pflegen sich stets angesichts einer Küste zu verflüchtigen: die Passagiere waren nun richtig traurig, einander nicht mehr Gesellschaft leisten zu können, und bekritzelten gegenseitig die pompösen Speisekarten mit Autogrammen und überströmenden Komplimenten.
«Meine Damen und Herren!» rief Bill Coke. «Ich möchte jetzt einen Toast ausbringen. Raten Sie mal, auf wen? Na, auf den Burschen, der verdammt gute Arbeit geleistet hat. Den Kerl, der durch und durch ein richtiger Kavalier ist und vordem ich jederzeit den Hut ziehe. Meine Damen und Herren, mit einem Wort: auf den Kapitän! »
«Hurra!» schrie Mrs. Judd und klatschte wie wild.
«Käpt'n -» Bill Coke faßte Ebbs ins Auge. «Ich weiß wirklich nicht, wie wir es ohne Sie geschafft hätten. » Plötzlich kletterte er auf seinen Stuhl, und Ebbs befürchtete einen Augenblick lang, er würde wieder einmal eine Szene machen. Doch Coke schwang seine Serviette heftig um sein Haupt, und die Musikkapelle im Eck hielt inne, änderte den Rhythmus und stimmte einen Tusch an. «Ein Dreimalhoch auf den Kapitän! » brüllte Bill Coke, der am ganzen Körper vor Schweiß zu glänzen begann. «Jeder lasse den Kapitän leben! Hipp-hipp -»
Der ganze Salon erhob sich und jubelte. Die Passagiere standen auf den Stühlen, einige kletterten auf die Tische, man warf Papierschlangen, schwenkte die Hütchen, trampelte, klatschte, pfiff und begann im Chor zu singen: «Er soll reden! Er soll reden!»
Ebbs stand schwankend auf seinen Beinen. Er tat den Mund auf und versuchte etwas zu sagen. Statt dessen schneuzte er sich. Seine Seele schwang sich auf leuchtenden Glückswellen dahin wie ein Fliegender Fisch.
Nach dem Dinner eröffnete Ebbs den Ball.
Es war noch immer warm genug, um auf dem Salondeck zu tanzen, das ganz besonders mit Flaggen und Lampions geschmückt und durch das Buffet mit einer zwei Meter langen Kopie der Charlemagne in Form einer Zuckergußtorte abgeteilt war. Unter einer Salve von Champagnerkorken begann das rauschende Fest: bald preßte der Zulukaffer das Blumenmädchen an sich, der Geistliche umfaßte das Stubenkätzchen, der Schulbub tanzte mit der Konkubine und der Scheich mit der Scheuerfrau. Die rangjüngeren Schiffsoffiziere strömten aus ihren Kabinen empor, denn dieser Abend hob traditionsgemäß die Vorschrift auf, die ihnen sonst unter Androhung sofortiger Entlassung verbot, mit Passagieren weiblichen Geschlechts über Dinge zu sprechen, die nicht mit der unmittelbaren Gefährdung des Schiffs zusammenhingen. Die Stewards schleppten schwerbeladene Tabletts aus der Bar herbei, die Musikkapelle spielte mit einer
Begeisterung, die ihrer Rekordsammlung von Freigetränken unterm Klavier angemessen war, die Passagiere begannen Quietschtierchen aufzublasen und zu lärmen, die Lampions schaukelten heftig, die Luftballons hüpften munter zu Häupten, und das Deck begann vor so viel Ausgelassenheit zu vibrieren. Und rundherum gab es nichts als die Haifische.
«Mein lieber, lieber William!» sagte Mrs. Judd, als Ebbs sie krampfhaft durch die ersten spärlichen Tanzpaare hindurchsteuerte. «Welch wundervoller Abend!»
«Meine liebe Edith! Wissen Sie, das ist der glücklichste Tag meines Lebens gewesen! »
Sie drückte seinen Arm. «Sie haben solchen Erfolg, William! Ich bin schrecklich stolz auf Sie!»
«Ich möchte Ihnen gerne etwas sagen», erklärte er, als die Musik pausierte. Ihm schien es höchste Zeit, ihr die Sache mit Burtweeds Fotografie auseinanderzusetzen.
«Oh, wirklich, William?» Sie blickte ihn überrascht an.
In der Badewanne sitzend, hatte er eine kurze Rede konzipiert, die mit dem Foto begann und sich zu vorsichtigen Mutmaßungen steigerte. Aber ihr Vortrag benötigte sichtlich Ungestörtheit, Ruhe und, am besten, Dunkelheit.
Er schneuzte sich. «Wollen wir versuchen, ein ruhiges Plätzchen an Deck ausfindig zu machen?»
Sie begannen sich zur Reling vorzuschieben, wobei Ebbs die Passagiere wie ein Pastor die Kinder bei einem gelungenen Schulfest anstrahlte. «Wie glücklich doch jedermann aussieht!» bemerkte er zufrieden, als er den mit einem Fes geschmückten Kanonikus dabei
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