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Käptn Snieders groß in Fahrt

Käptn Snieders groß in Fahrt

Titel: Käptn Snieders groß in Fahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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den Mund!“
    Rudi verstand jetzt gar nichts mehr.
    „Die ßonne dreht ßich auch?“ fragte er staunend.
    „Nein, du ßüßer Dößkopp, die ßteht ßtill, aber ßie geht auf und unter“, sagte Hinnerk Beiderbeck.
    „Ach ßo!“ machte Rudi, und damit war das Gleichgewicht in seiner Seele wiederhergestellt. Käpten Snieders konnte in seiner Erzählung fortfahren.
    „Als mir also das mit der Drehung der Erde ganz deutlich war“, sagte er, „wußte ich plötzlich, wie wir uns helfen konnten. Ich erklärte dem Kapitän, daß wir alle Segel waagerecht stellen müßten wie die Flügel eines Flugzeuges. Der Kapitän begriff jedoch nicht, wofür das gut sein sollte, und quakte mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte. Aber der Erste Steuermann war der Meinung, man sollte nichts unversucht lassen. Darum gab er Befehl, die Segel zu verqueren. Das wurde auch augenblicklich getan. Bald standen die Segel über uns wie riesige Regenschirme. Die Matrosen guckten sich an und guckten mich an, tippten sich an die Stirn und schüttelten den Kopf.
    Aber nicht lange!
    Auf einmal erzitterte nämlich das Schiff von Bug bis Heck, hob sich aus dem Wasser wie ein stolzer Schwan und schwebte einen Meter hoch über dem Ozean, die Segel nach oben geschwellt. Wie gebannt starrten nun die Matrosen an den Masten hoch. Tja, und dann geschah, was ich vorausberechnet hatte. Die Erde drehte sich unter uns weg, immer von Westen nach Osten, mit fast zweitausend Knoten Geschwindigkeit. Pfeilschnell schossen die Inseln an uns vorbei, die großen und die kleinen. Und wir, wir standen an Deck und freuten uns über den angenehmen Fahrtwind.
    Um uns die Zeit zu vertreiben, begannen wir schließlich die Brigg von allen Seiten neu anzumalen, auch von unten, denn sie war ja völlig trocken. Ich saß in einem Seemannsstuhl unterm Kiel und pinselte munter drauflos.
    Kaum fünf Stunden schwebten wir so dahin, da kam Amerika in Sicht. Mit Hilfe des Besansegels steuerten wir das Schiff in den Hafen von New York hinein und stellten dann die Segel wieder senkrecht. Sofort fiel das Schiff ins Wasser und schwamm. Wir waren gerettet.“
    „Prost“, sagte Hinnerk Beiderbeck, „darauf einen Doppelkorn!“ Wolfgang Lofing sah sich vorsichtig in der Klasse um. Er wollte sehen, wie die Kinder diese erstaunliche Geschichte aufnahmen. Einige machten ein Gesicht, als ob sie alles glaubten, was Käpten Snieders da erzählt hatte. Die größeren aber schienen Zweifel zu haben. Er selbst nahm das Ganze als einen Spaß, als einen dicken Tampen Seemannsgarn. Er hatte bei seinem Erdkundelehrer in der Stadt die Sache nämlich etwas anders gelernt. Aber er war froh, daß er in eine Schule gekommen war, in der Spaß gemacht wurde. Der alte Kapitän sah so freundlich aus mit dem kleinen Jungen auf den Knien und der Pfeife im Mund, daß sich seine Furcht vor dem Unbekannten ein wenig legte. Wenn die Kinder nur halb so nett waren wie ihr Lehrer, konnte es eigentlich nicht schlimm werden.
    Wolfgang war ein stilles Kind, das viel nachdachte und nichts leichtfertig betreiben konnte. Er war feinfühlig und empfindsam. Die dauernden Streitereien seiner Eltern waren ihm sehr nahegegangen, hatten ihn hin und her gerissen in seinen Gefühlen. Er liebte beide Eltern mit gleicher Stärke. Ihm machte es nichts aus, daß sein Vater sich manchmal betrank, wenn er nach einer wochenlangen Fahrt wieder zu Hause war. Ihn störte es auch nicht, daß seine Mutter so viel Geld für Kleidung ausgab. Im Gegenteil, er mochte es, wenn sie sich hübsch anzog. Die bevorstehende Scheidung hatte ihn in der Mitte zerschnitten. Er hätte sich am liebsten das Leben genommen. Nur der Gedanke an seinen Bruder, der als Schiffsjunge zur See fuhr und genauso empfindsam war wie er selber, ließ ihn die fürchterliche Zerrissenheit ertragen. Sein Bruder brauchte ihn, und für ihn wollte er künftig allein leben.
    Bei seiner Tante Ruth Besenhoff war er ganz gut untergebracht. Er bekam zu essen und zu trinken und hatte, das war das wichtigste, ein eigenes Zimmer, einen kleinen Platz, auf dem er allein sein konnte. Denn nur in der Einsamkeit fühlte er sich ganz sicher, seitdem er keinen Vater und keine Mutter mehr besaß. Wenn die letzten drei Jahre seiner Schulzeit vergangen waren, wollte er zur See fahren wie sein Bruder und auf demselben Schiff immer mit ihm zusammen sein.
    Käpten Snieders setzte sich den kleinen Johann auf das andere Knie und sagte: „So, nun schreibt das man alles schön auf und macht

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