Käptn Snieders groß in Fahrt
einen Aufsatz draus.“
Darauf waren die Kinder vorbereitet. Ohne Gegenrede machten sie sich an die Arbeit. Nur Rudi Turka, der heute anscheinend seinen großen Tag hatte, hob den Finger, um etwas sagen zu dürfen.
„Ich ßoll wohl wieder ßeichnen, nich?“ fragte er.
„Ja, Moses“, sagte der alte Kapitän, „du zeichnest die Geschichte genauso schön auf wie das letzte Mal.“
„ßön, ßön“, bemerkte Rudi altklug, „aber wann ßoll ich endlich ßelber ßreiben lernen? Nächßte Woche werd’ ich ßieben und kann immer noch nichtß. Herr Heinecke hat mir ßon manchmal einen Buchßtaben vorgemacht in mein ßreibheft. Kannßt du daß nicht auch mal machen? Hier, guck mal, ein ,m‘ kann ich ßon und ein ,l’. Aber eß gibt ja noch viel mehr Buchstaben, über hundert.“ Käpten Snieders kratzte sich hinterm Ohr und sah den kleinen Klugschnacker verblüfft an.
„Ist ja auch wahr, Rudi“, sagte er, „so kann das nicht weitergehen. Du mußt sofort einen Buchstaben lernen, ja, einen ganz schönen. Wie wär’s mit dem ,u‘? Das ist doch ein besonders feiner, was?“
„ ,U‘ iß ßon ganß ßön“, gab Rudi zu, „den möchte ich wohl lernen. Hier iß mein Heft, ßreib ihn man ’rein!“
Das traf den alten Schiffer wie ein Torpedo.
Er sollte einen Musterbuchstaben schreiben? Das konnte er nicht! Hilfesuchend sah er sich in der Klasse um. Da fiel sein Blick auf den Neuling, den Neffen der Frau Besenhoff. Der kommt doch aus der Stadt, dachte er, vom Gymnasium, der kann doch bestimmt besonders fein schreiben. Und schon sagte er: „Wie du siehst, Rudi, habe ich Johann auf dem Schoß. So kann ich dir nichts vormachen. Aber ich glaube, Wolfgang ist so freundlich und malt dir ein paar ,u‘ in dein Heft, nicht, Wolfgang?“ Natürlich war Wolfgang sofort einverstanden. Er nahm Rudis Heft und schrieb an den Anfang von fünf Reihen ein kleines „u“. Sie wurden wunderschön gleichmäßig, eines sah aus wie das andere. Käpten Snieders sah es mit Erstaunen und Bewunderung. Und mit Erstaunen und Bewunderung sah er auch, wie Wolfgang dem Kleinen die Hand führte, als der sich bemühte, die Buchstaben nachzuschreiben. Rudi ließ sich das gefallen, und nachdem zwei Reihen vollgeschrieben waren, versuchte er es allein. Da er den Bewegungsablauf schon erkannt hatte, gelangen ihm die Buchstaben recht gut. Kaum war er fertig, da füllte er eifrig noch drei weitere Reihen.
Wolfgang lobte ihn für seinen Fleiß und machte ihm nun auch das große „U“ vor.
Käpten Snieders hatte seinen Spaß an der Zusammenarbeit der beiden. Er beobachtete sie und fühlte, daß er in Wolfgang einen zweiten Helfer für seinen Unterricht gefunden hatte.
Und damit irrte er sich nicht.
Der blasse scheue Junge erwies sich als der geborene Lehrer. Er übte, ohne daß Käpten Snieders ihn dazu aufforderte, in den nächsten Tagen mit Rudi auch das „o“, das „a“ und das „r“ ein. Er wurde nicht ungeduldig, wenn der Kleine eine Schleife immer wieder nach der falschen Seite begann oder seine Buchstaben über und unter den Reihen tanzen ließ. Er malte einfach seine schönen Schriftzeichen neben Rudis entgleiste, ohne zu tadeln. Im Gegenteil, er lobte Rudi oft und gewann darum in ihm schnell einen treuen Freund, einen zweiten Bruder, der ihn liebte und stolz auf ihn war. Ihm tat das wohl. Das Gefühl, für jemanden nützlich zu sein, stärkte ihn und gab ihm Mut. Käpten Snieders setzte sie beide in eine Bank und freute sich, wenn er sie auch nachmittags zusammen sah, auf dem Deich oder beim Angeln im Sielgraben. Mit den anderen Kindern der Klasse bekam Wolfgang nicht so schnell Kontakt, weil er zurückhaltend war und sich niemandem auf drängte.
Aber sein Beispiel machte Schule.
Käpten Snieders setzte bald auch andere Kinder als Helfer ein.
Heini Brackwede freute sich, als der Kapitän ihm am Nachmittag die zweiten Aufsätze brachte. Der kranke Junge war nicht mehr so niedergeschlagen, das sah der Alte sofort, als er in das kleine Zimmer trat. Heini saß fast aufrecht in seinem Bett und blätterte in einem Wörterbuch.
„Guten Tag, Käpten Snieders“, rief er freudig. „Ludwig hat mir schon erzählt, daß ich wieder Arbeit bekomme.“
„Soso“, brummte der Alte, „der kann auch gar nichts für sich behalten. Aber Hauptsache, du freust dich.“
Heini klappte das Buch zu und stellte es auf das Wandbrett. Dann nahm er die Hefte entgegen.
„Diesmal habe ich dir aber was mitgebracht“, sagte der Kapitän.
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