Kaeufliche Liebe Band 2
Menge Anzugträger laufen durch die Gegend. Ich führe Aladin zu den Schließfächern und bleibe vor dem mit der Nummer dreiundsiebzig stehen. Hier lagert mein ganzes Leben.
„Fünf Euro“, sage ich über die Schulter, „fünf Euro für einen billigen Rucksack.“
„Er ist alles, was du hast“, antwortet Aladin schlicht und reicht mir ein paar Münzen.
Es klickert, als ich sie in den Schlitz werfe, der Schlüssel lässt sich drehen und ich kann das Fach öffnen. Mein ganzes Habe an meine Brust pressend drehe ich mich zu dem Bullen um.
„Danke“, wispere ich, wobei mir Tränen in die Augen steigen.
In diesem Rucksack sind nur ein paar alte Klamotten, ein Buch und wichtige Papiere. Meine Geburtsurkunde, zum Beispiel. Das Buch, es ist Hermann Hesses ‚Steppenwolf‘, das ich schon tausendmal verschlungen habe. Mein ganzes Leben, reduziert auf ein winziges Bündel.
„Aurelius, Kopf hoch“, murmelt Aladin und streicht mir sanft über den Arm.
Seine Worte sind genau richtig. Ich nicke, strecke das Kinn vor und schlucke die Tränen, dann habe ich mich wieder im Griff.
„Jawohl, Scheich Ali Ben adin“, sage ich, ziehe die Mundwinkel hoch und trabe hinter ihm her zurück in die Wandelhalle.
Auf Höhe der öffentlichen Toiletten merke ich plötzlich, dass ich dringend pinkeln muss. Es kann auch sein, dass ich nachgucken will, ob mein Freund Simon hier ist. Es macht seinen Job meist tagsüber am Bahnhof. Der arme Kerl ist drogenabhängig und muss alles nehmen, was kommt.
„Ich muss mal. Leihst du mir fünfzig Cent?“, frage ich Aladin, wobei ich von einem Bein auf das andere trete.
„Armer Kleiner“, spottet der Bulle, zückt seine Börse und reicht mir ein Geldstück.
Ich bedanke mich artig, laufe zu dem Drehkreuz und stecke die Münze in den vorgesehenen Schlitz. Es ist jetzt wirklich dringend. Schnell suche ich mir eine Kabine und erleichtere mich. Danach lausche ich angestrengt, während ich meine Kleidung ordne und den Rucksack wieder aufnehme. Ganz in der Nähe höre ich Stimmen, die erstickt flüstern. Ich trete in den Gang, gehe langsam über die Fliesen und folge meinem Gehör.
Das Flüstern wird lauter, eine mir nur allzu bekannte Stimme sagt: „Stell dich nicht so an.“
Es raschelt, jemand knallt gegen die Kabinentür und ich höre die Stimme von Simon, der laut ein ‚Nein‘ brüllt. Dann ist es wieder still. Ein Ächzen und das Klacken des Türriegels. Eine massige Gestalt fällt auf den Gang, ein völlig verstörter Simon steigt über den Körper hinweg, erblickt mich und schluchzt meinen Namen.
„Aurel“, schnieft Simon, stürzt auf mich zu und umschlingt mich und den Rucksack. „Das Schwein wollte mich ohne Gummi ficken. Ist er tot?“
Ich wage einen Blick über seine Schulter. Aus der Brust des Kerls ragt ein winziges Taschenmesser, er bewegt sich und Blut läuft über die Fliesen. Es wird immer mehr. Ich tue das Einzige, was mir gerade einfällt.
„ALADIN“, brülle ich aus Leibeskräften und halte dabei Simon fest an mich gepresst.
***
Ein Alptraum. Aus den Toiletten Aurels Stimme zu hören, die mich panisch ruft, verursacht mir fast einen Herzkasper. Ich sprinte los, setze über das Drehkreuz, was der Klomann mit einem ‚so aber nicht‘ kommentiert. Ohne auf den Mann zu achten laufe ich zu Aurel, der einen kleinen Kerl umklammert und einen Dicken anstarrt, dem ein Zahnstocher aus der Brust ragt. Der Dicke ist kein anderer als Harry, diese Drecksau. Was sich hier abgespielt haben muss weiß ich, ohne dass ich nachfragen muss. Dennoch, ich bin Bulle und habe eine Verpflichtung. Das Funkgerät habe ich dabei, warum auch immer. Ich bestelle einen Notarzt und die Kollegen, prüfe Harrys Vitalfunktionen und gucke unschlüssig das Taschenmesser an, das in seiner Brust steckt. Kurz bin ich versucht, es mit einem Schlag ganz zu versenken. Es steckt maximal zehn Zentimeter tief, und das auch noch auf der falschen Seite. Nein, ich will nicht in den Knast.
„Das hast du mehr als verdient“, raune ich in sein Ohr, bevor ich aufstehe und mich den Strichern zuwende, die zitternd aneinandergepresst dastehen.
„Keiner verlässt den Raum“, sage ich und zwinkere Aurel dabei zu.
Der Kleine lächelt mich an, was bei mir ein Kribbeln auslöst, das sich bis zu meiner Leibesmitte frisst und höher. Ein neuer Herzkasper droht. Ich lehne mich gespielt lässig gegen eine der Kabinentüren und warte.
„Was werden sie mit Simon machen?“, fragt Aurel und wischt sich über die
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