Kafka am Strand
kleines Beil. Ich packe alles in einen kleinen Nylonrucksack (den ich auch beim Werkzeug gefunden habe). Meine unbedeckten Hautflächen reibe ich mit Insektenschutzmittel ein. Ich ziehe ein langärmliges Hemd an, wickle mir ein Handtuch um den Hals und setze die Kappe auf, die ich von Oshima bekommen habe. Bleierne Wolken hängen am Himmel; es ist schwül und sieht nach Regen aus. Also packe ich vorsichtshalber noch ein Regencape in den Rucksack. So mache ich mich auf den Weg. Unter Rufen ziehen Vogelschwärme an den tief hängenden grauen Wolken vorbei.
Wie immer erreiche ich ohne Schwierigkeiten die runde Lichtung. Ich vergewissere mich auf meinem Kompass, wo ungefähr Norden ist, und betrete den Wald. In gewissen Abständen sprühe ich auf die Stämme der Bäume an meinem Weg gelbe Farbe. Um zu meinem Ausgangspunkt zurückzukommen, brauche ich nur diesen Markierungen zu folgen. Im Gegensatz zu den Brotkrumen, die Hansel und Gretel ausstreuten, steht nicht zu befürchten, dass Vögel meine gelbe Sprayfarbe aufessen.
Diese Vorkehrungen mildern vorläufig meine Angst. Natürlich bin ich aufgeregt, aber Herzklopfen habe ich überhaupt keines. Mich treibt die Neugier. Ich will wissen, was hinter dem Pfad liegt. Sollte da nichts zu entdecken sein, will ich zumindest wissen, dass da nichts ist. Ich muss es wissen. Entschlossen bahne ich mir Schritt für Schritt einen Weg und präge mir dabei aufmerksam das Bild der Landschaft ein.
Hin und wieder höre ich irgendwo ein unbestimmbares Geräusch. Ein Plumpsen, als fiele etwas zu Boden, oder einen Laut, als knarre der Boden unter einem Gewicht. Dazu so sonderbare Geräusche, dass sie sich nicht benennen lassen. Was sie bedeuten, weiß ich nicht. Es ist sogar schwierig, sich etwas darunter vorzustellen. Bald scheinen sie von weither zu kommen, bald aus meiner unmittelbaren Nähe. Es ist, als ob sich die Distanzen einmal ausdehnen, dann wieder zusammenziehen. Über mir ertönt der Flügelschlag eines Vogels. Seltsam laut, vielleicht lauter als in Wirklichkeit. Bei jedem dieser Geräusche bleibe ich stehen und lausche. Warte mit angehaltenem Atem, dass etwas geschieht. Da nichts geschieht, gehe ich weiter.
Abgesehen von diesen unvermittelten Lauten ist meist alles ruhig. Es weht kein Wind, und die Blätter über mir bewegen sich nicht. Nur meine eigenen Schritte im Gras dringen an mein Ohr. Sooft ich auf einen heruntergefallenen Zweig trete, knackt es unter meinen Füßen.
Das kleine Beil, das ich an einem Wetzstein frisch geschärft habe, trage ich in der rechten Hand. Sein Griff fühlt sich in meiner bloßen Hand rau an. Noch muss ich es nicht benutzen, aber seine handliche Schwere gibt mir das Gefühl, mich verteidigen zu können. Mich verteidigen zu können – aber wogegen überhaupt? In den Wäldern von Shikoku leben weder Bären noch Wölfe. Selbst Giftschlangen sind selten. Nach einigem Überlegen wird mir klar, dass das gefährlichste Lebewesen in diesem Wald wahrscheinlich ich selber bin. Fürchte ich mich letztlich nicht nur vor meinem eigenen Schatten?
Dennoch ist mir, als würde ich gesehen und gehört, während ich durch den Wald gehe, als würde ich von irgendwoher beobachtet. Leise atmend lauern sie im Hintergrund und lassen mich nicht aus den Augen. Von ferne horchen sie auf die Geräusche, die ich verursache, und schließen daraus, welche Richtung ich einschlagen werde. Doch ich versuche, nicht daran zu denken. Wahrscheinlich ist es Einbildung, und je länger man über Eingebildetes nachdenkt, desto mehr bläht es sich auf und desto deutlicher nimmt es Gestalt an, so lange, bis es keine Einbildung mehr ist.
Ich pfeife, um die Stille zu übertönen. Das Sopransaxophon in »My Fair Lady« von John Coltrane. Natürlich kann ich mit meinem dilettantischen Gepfeife nicht die komplizierten Improvisationen von einander dicht überlagernden Tonfolgen reproduzieren. Letztlich reihe ich nur irgendwelche Töne aus dem Gedächtnis aneinander, aber das ist besser als nichts. Ich schaue auf die Uhr. Halb elf am Vormittag. Sicher bereitet Oshima gerade alles für die Öffnung der Bibliothek vor. Heute ist … Mittwoch. Ich stelle mir vor, wie er den Garten bewässert, die Tische abwischt, Wasser aufsetzt und Kaffee macht. Das sind normalerweise meine Aufgaben. Doch ich bin jetzt in diesem tiefen Wald. Und im Begriff, noch tiefer hineinzugehen. Niemand weiß, dass ich hier bin. Nur ich und sie wissen es.
Ich folge dem Weg. Auch wenn man diese Furche kaum als Weg
Weitere Kostenlose Bücher