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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Dann legt er wieder die Schubert-Sonate ein.
    »Ich möchte, dass du noch eins weißt«, sagt er. »Saeki-sans Herz schmerzt. Natürlich tut auch dir und mir das Herz weh. Mehr oder weniger. Unbestritten. Aber Saeki-sans Schmerz überschreitet dieses allgemeine Maß, ihr Leiden ist persönlicher. Man könnte sagen, ihre Seele funktioniert anders als die anderer Menschen. Aber deshalb ist sie nicht labil oder so etwas. Im täglichen Umgang ist sie sogar sehr gewissenhaft und kompetent, eigentlich mehr als irgendjemand, den ich sonst kenne. Sie hat Tiefe, sie ist weise und bezaubernd. Ich möchte nur nicht, dass du dir Gedanken machst, wenn dir an ihr irgendetwas sonderbar erscheint.«
    »Sonderbar?«, frage ich unwillkürlich.
    Oshima schüttelt den Kopf. »Ich mag Saeki-san sehr. Außerdem habe ich Respekt vor ihr. Du wirst bestimmt die gleichen Gefühle für sie hegen.«
    Das beantwortet eigentlich nicht meine Frage, doch Oshima sagt nichts mehr. Mit perfektem Timing schaltet er, beschleunigt und überholt noch vor dem Tunnel einen Kombi.

18
    Unversehens fand Nakata sich mit dem Gesicht zur Erde im Gras liegend wieder. Allmählich kam er zu sich und schlug die Augen auf. Es war Abend. Keine Sterne. Auch kein Mond. Dennoch war der Himmel ein wenig hell. Die Sommergräser dufteten stark. Er vernahm das Zirpen von Insekten. Offenbar befand er sich auf dem Bauplatz, auf dem er jeden Tag Wache gehalten hatte. Er spürte, wie etwas über sein Gesicht schabte, etwas Raues, Warmes. Er bewegte sich ein bisschen und sah, dass zwei Katzen ihm mit ihren kleinen Zungen eifrig beide Wangen leckten. Goma und Mimi. Langsam richtete er sich auf und streckte die Hände nach ihnen aus, um sie zu streicheln.
    »Hat Nakata geschlafen?«, fragte er die beiden.
    Die Katzen miauten klagend, aber Nakata konnte keine Worte ausmachen. Er wusste nicht einmal, ob sie etwas zu ihm sagten. Er hörte nur das Miauen von Katzen.
    »Wie bitte? Nakata hat nicht verstanden, was Sie gesagt haben.«
    Nakata stand auf und untersuchte sich am ganzen Körper, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Weh tat ihm nichts. Arme und Beine konnte er bewegen. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, aber er hatte auch kein Blut an den Händen oder an der Kleidung. Das war sicher. Er trug die gleichen Sachen, in denen er von zu Hause aufgebrochen war. Sie waren nicht einmal zerknittert. Sein Stoffbeutel mit der Thermosflasche und der Proviantbüchse lag neben ihm. Seine Mütze hatte er in der Hosentasche. Jetzt begriff Nakata gar nichts mehr.
    Er hatte doch gerade eben noch ein großes Messer genommen und Johnnie Walker, den Katzenmörder, getötet. Um Mimis und Gomas Leben zu retten. Daran konnte Nakata sich ganz deutlich erinnern. Er spürte das Gefühl noch immer in den Händen. Das war kein Traum gewesen. Als er zustach, war er von dem herausschießenden Blut über und über bespritzt worden. Johnnie Walker war zu Boden gestürzt, hatte sich zusammengerollt und war gestorben. So weit erinnerte er sich. Er hatte sich auf das Sofa gesetzt und das Bewusstsein verloren. Und dann war er hier im Gras aufgewacht. Wie war er bloß hierher gekommen? Wo er doch den Weg gar nicht kannte. Und wieso war überhaupt kein Blut an seinen Sachen? Der Beweis dafür, dass er nicht geträumt hatte, waren Mimi und Goma. Aber von dem, was sie sagten, verstand er kein Wort.
    Nakata seufzte. Er konnte nicht richtig denken. Nichts zu machen, aber das konnte er später auch noch tun. Er hängte sich den Beutel über die Schulter und verließ mit den beiden Katzen im Arm das Grundstück. Als sie sich außerhalb des Zaunes befanden, wand sich Mimi und wollte offenkundig auf den Boden hinunter. Nakata setzte sie ab.
    »Sie möchten allein nach Hause gehen, Fräulein Mimi, nicht wahr? Ist ja auch ganz nah«, sagte Nakata.
    Mimi wedelte lebhaft mit dem Schwanz, als stimme sie ihm zu.
    »Nakata hat keine Ahnung, was passiert ist, und kann nicht mehr mit Fräulein Mimi sprechen – weiß nicht wieso. Aber die kleine Goma ist gefunden, und Nakata bringt sie jetzt zu den Koizumis zurück. Alle warten dort auf Gomas Heimkehr. Vielen Dank für Ihre Hilfe, Fräulein Mimi.«
    Mimi miaute und bewegte wieder den Schwanz. Dann bog sie eilig um die Ecke und war verschwunden. Auch an ihr war kein Blut. Das behielt Nakata im Gedächtnis.
    Bei den Koizumis herrschte eine Riesenfreude über Gomas Heimkehr. Es war schon nach zehn Uhr abends, aber die Kinder waren

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