Kains Erben
ihrem Ohr.
»Wer hat dir hier wehgetan, mein Liebling?«, fragte sie leise.
»Niemand. Mir tut nichts weh. Nur mein Herz.«
Sie küsste die Stelle auf der Brust, wo ihm das Herz schlug. »Ist es jetzt besser?«
»Schlimmer«, sagte er mit einem Lächeln, einer Liebkosung in der Stimme. »Mein Herz spielt verrückt, sobald ich ihm in Erinnerung rufe, dass es dich irgendwann gehen lassen muss.«
»Vielleicht solltest du es mit solchem Unsinn verschonen.«
»Amicia …«
»Nein!«, rief sie zornig. Wie konnte er ihr ausgerechnet jetzt, wo sie ihm ohne jede Deckung ausgeliefert war, ins Gesicht werfen, dass für ihn kein Leben mit ihr infrage kam? »Wenn es dich so sehr quält, warum versuchst du dann nicht, es zu ändern? Weil es an deiner Stellung rüttelt, weil du dir Ärger einhandeln könntest? Kann sich ein Mann wie du keine Geliebte halten, wenn er sie leidlich versorgt? Ich besinne mich nicht, je Ansprüche an dich gestellt zu haben. Soweit ich weiß, habe ich nie ein Schloss, ja nicht einmal eine Hütte oder eine Heirat von dir verlangt.«
»Ich darf dich nicht heiraten!«, rief er so heftig, dass sie ihm den Mund zuhalten musste, damit er die anderen nicht weckte.
»Ach«, bemerkte sie höhnisch, »und wer verbietet es dir?«
»Der Rest von Anstand, den du mir nicht zutraust.«
Sie würde sich keine Blöße vor ihm geben und nicht weinen. Stattdessen legte sie den ätzendsten Spott in ihre Stimme. »Es ist also unanständig, sich mit einer wie mir zu zeigen, ja? Du bist ein Heuchler, Matthew. Ich weiß, in deinen Augen ist Vyves eher ein Insekt als ein Mensch, aber zu heucheln fiele ihm nicht ein. Er ist auch nicht feige, sondern hätte zu mir gestanden. Um meinetwillen hätte er alles aufgegeben, was er hat und ist.«
Matthew zog den Arm von ihrer Taille und rückte von ihr ab. »Das kann er so wenig wie ich«, sagte er rau. »Sich selbst aufgeben, so himmlisch einfach die Lösung auch wäre. Ein jeder von uns kann sich dir immer nur als das anbieten, was er ist. Ohne Zweifel weist er mich dabei um Meilen in die Schranken, aber gut für dich ist weder er noch ich.«
Amicia sah ihm im Dunkel in die Augen, bis sie begriff, was er ihr zu sagen versuchte. Sie streckte noch einmal die Hand aus und streichelte ihm über die Wange, die kühl war und angespannt. »Versuch es«, ermutigte sie ihn. »Warum lässt du nicht mich entscheiden, ob es mir genügt?«
»Was?«
Sie strich ihm über das Herz. »Was du mir anzubieten hast. Was du bist.«
»Amicia …«
»Ich höre.«
Er bog Kopf und Rücken zurück und stöhnte auf. »Wenn ich ein anderer wäre … Wenn nichts gegen mich spräche als eine ungewisse Zukunft – würdest du es dann mit mir versuchen? Die Lage hier ist nicht ganz so schwarz, wie ich befürchtet hatte. Ich hatte ein paar Schwierigkeiten, aber letzten Endes hatten die Säcke voll Geld mehr Gewicht.«
Amicia nahm seine Hände und liebkoste ihm mit den Lippen die Gelenke. Du hattest ein paar Schwierigkeiten, dachte sie bitter. Sie haben dir Fesseln umgelegt, die dir Haut und Fleisch vom Knochen schälten, wo du dich ohnehin immer wundkratzt, und was sie dir noch getan haben, will ich lieber nicht wissen. Aber du hattest ja nur ein paar Schwierigkeiten. Nicht der Rede wert für meinen Mann aus Eisen, nicht so gewichtig wie die Säcke Geld für deinen König.
»Soll ich lieber nicht weitersprechen?«
»Und ob du sollst, Dummkopf! Willst du das tun – eine Stellung im Haushalt des Königs annehmen?«
»Ich hätte nie gedacht, dass mir das offenstände«, antwortete er. »Aber eine Reihe von Männern raten mir zu, es zu versuchen. Einer der neu ernannten Constables lässt mich mit der königlichen Wache reiten, die in London für Ordnung sorgen soll.«
»Ich dachte, London sorge für seine Ordnung selbst«, entfuhr es Amicia.
»Nicht länger«, erwiderte Matthew. »Der König macht dem ein Ende, und dafür braucht er einen Haufen Männer in Waffen. Wenn er mich behält, müssten wir vermutlich gelegentlich mit seinem Haushalt reisen, und wenn es ins Heilige Land geht, zöge ich mit ihm. Aber zuvor könnte ich ihn um eine Lizenz zur Heirat bitten. Du hättest ein Auskommen hier und ein Haus, in dem Platz für Kinder wäre. Es wäre nicht viel, aber wenn du es wolltest …« Mit den letzten Worten wurde seine Stimme leiser, und schließlich versiegte sie ganz.
Als Amicia ihn an sich zog, erschrak sie wegen der Anspannung, die seinen Körper beben ließ. Sie sprach nicht
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