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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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daran, es zu beweisen. Die Fremdheit, die früher am Tage zwischen ihnen gestanden hatte, gab es nicht mehr. Wo er ging und stand, zog er sie in die Arme, sandte ihr Blicke, die vor Sehnsucht tanzten, und hüllte sie in seine staunende, geradezu andächtige Liebe ein. Der verstockte, schwierige Mann war wie ausgewechselt. Bei Magdalene entschuldigte er sich, er besprach mit Hugh und Timothy die Pläne für die Reise und brachte nach drei Tagen Toms Sohn Stephen mit, der selig war, weil er sie als sein Knappe begleiten durfte. Seine Manieren waren geradezu tadellos, und sein scheuer, unverhoffter Charme berührte Amicia so, dass sie lachen musste. Wenn ihm ein Fluch entfuhr, verdrehte er die Augen und bat sie demütig um Verzeihung.
    Er war ihr Wolf, ihr schönes, wildes Geschöpf, ohne Peitsche und Kette gezähmt. Sie wollte die Finger nicht von ihm lassen, sondern ihn für jeden Sprung über den Schatten belohnen. Sie sandten einander halbe Lächeln, die in der Mitte des Tisches zu einem ganzen wuchsen, und tauschten Küsse in allen Winkeln des Hauses.
    Wenn Amicia seit jenem Palmsonntag in Carisbrooke nicht mehr glücklich gewesen war, so war sie es jetzt, und sie war es noch an dem eisklaren Morgen im März, als sie sich zu sechst auf den Weg machten.

29
    I
sabel hatte darauf bestanden. »Dieses Mal begleite ich dich bis nach Yarmouth in den Hafen«, hatte sie entschieden.
    »Warum denn nur, meine Schönste?«, hatte Adam sie noch am Morgen der Abreise bedrängt. »Das Wetter ist abscheulich, du hast genug zu tun, und es gibt keinen Grund.«
    Genug zu tun hatte sie wahrlich. Der König hatte sich zu einer Visite angesagt. Er hatte vor, ein großes Turnier zur Feier der walisischen Siege in Winchester zu geben und den Adel seines Landes dazu einzuladen. Da Isabel gesundheitliche Gründe vorgeschoben und die Einladung abgelehnt hatte, war der König entschlossen, die Insel stattdessen mit seinem Besuch zu beehren. Von Winchester war der Weg nicht weit, sondern in einer knappen Tagesreise zu bewältigen.
    Mit Isabels Gesundheit lag nichts im Argen, wenn ihr auch die ewige Kälte auf Gemüt und Knochen schlug. In früheren Jahren wäre sie der Einladung nachgekommen und hätte sich dabei sogar ein wenig amüsiert. Über die Herren, die sie umschwänzelten, als hätte ihr je ein Männerschwanz ihre Insel wert sein können, ebenso sehr wie über die Hofschranzen, die zu tuscheln begannen, sobald sie sie außer Hörweite glaubten. Vor allem aber über das Wissen, dass all diese Leute auf dem Festland würden bleiben müssen und nur sie allein auf ihre Insel zurückkehrte. Von dem Fest, das in Winchester bevorstand, hieß es, es werde an Glanz alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen und deutlich machen, wer an den Tisch des neuen England gehörte.
    Jenen Tisch hatte König Edward sich angeblich eigens dafür zimmern lassen – einen runden Tisch von einer Tonne Gewicht, an dem die Blüte von Englands Ritterschaft Platz fand wie an der Tafelrunde des Arthur von Camelot.
    Er ist größenwahnsinnig geworden, dachte Isabel mit einem müden Lächeln. Die Anlage dazu hatte er schon als altkluges Prinzlein, und um ihn herum hatte niemand das Herz, sie ihm auszutreiben.
    Isabel hatte sich dennoch das Recht genommen, den Platz am Tisch des neuen England auszuschlagen. Die Insel war wichtiger. Wenn Adam nicht hier war, ließ sie sie nicht mehr gern allein. Dass der König herkam, war unangenehm, aber er würde wieder gehen und hätte eines gelernt: Ihre Insel, ihr Torhaus vor der Küste Englands, hatte noch immer keinen König nötig, um zu blühen. Sie hatte niemanden nötig, nur einen Spross vom Stamm der de Redvers.
    »Du gibst mir keine Antwort«, quengelte Adam. Er schob seinen Reitknecht beiseite und prüfte den Sattelgurt seines Rappen selbst. Er war der Sohn eines Stallmeisters, das ließ sich auch dann nicht leugnen, wenn seine Tonsur so wie heute frisch geschoren schimmerte. Auf Pferde verstand er sich noch immer weit besser als auf den Weg zum Himmel. »Du begleitest mich doch nicht etwa zum Kai, weil dir der Abschied das Herz bricht? Kommst du, um mir nachzuwinken, bis ich in den Nebeln vor der Küste verschwunden bin?«
    »Wenn du dir Schwachheiten einbilden willst, dann sei so frei«, verwies ihn Isabel und schwang sich aufs Pferd. Nein, der Abschied von Adam zerbrach ihr nicht das Herz, und sie wollte ihm gewiss nicht winken. Sie wollte die Männer sehen, die gemeinsam mit ihm das Schiff bestiegen: bestens

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