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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Armbrustschützen nachts schlafen ließ. Früher oder später würden Männer aus London kommen, um Adam zu verhaften, und dann würde es eine atemberaubende Summe kosten, ihn noch einmal vor dem Schafott oder Schlimmerem zu bewahren. Es würde aber nicht noch einmal ein Pfand erfordern, dass teurer als Adams Leben war, denn ein solches Pfand besaßen sie nicht mehr. Nur die Insel. Und die war ohnehin verloren.
    »Wer ist es, Roger?«, fragte Isabel unwirsch. Sie schämte sich für Adams furchtsames Gesicht.
    Der Stewart verneigte sich. »Abt Randulph von Quarr.«
    Adams Aufatmen war nicht zu überhören. »Wo ist er? Ihr wollt mir nicht sagen, Ihr habt den Ehrwürdigen Vater am Torhaus stehen lassen?«
    »Ich bitte um Vergebung. Ich dachte, es wäre Myladys Wunsch, nicht noch einmal unverhofft … gestört zu werden.«
    »Hol den Mann hierherauf!«, fuhr sie ihn unbeherrscht an.
    In null Komma nichts tauchte der Stewart aus der Tür und verschwand. Isabel setzte sich wieder und rieb sich mit dem Handrücken die Stirn. Der Abend war nicht warm, und das Feuer musste neu geschürt werden, aber in ihr stieg Hitze auf. Sie wusste, worauf der arme Roger anspielte: Das letzte Mal, als Randulph auf die Burg gekommen war, hatte Roger ihn, ohne zu zögern, in den Hof geführt, um ihn in einem der Empfangsräume warten zu lassen. Randulph aber, der sich auf Carisbrooke auskannte, hatte nicht gewartet, sondern war geradewegs an den entscheidenden Ort gestürmt. Dort hatte er zu sehen bekommen, was für seine Augen nie und nimmer bestimmt gewesen war.
    Es lag fast fünf Jahre zurück, und im Grunde hatte Isabel es Roger nie übel genommen. Im Gegenteil. Keiner von uns hat diesen Mann töten wollen, dachte sie auch jetzt. Wir brauchten nur jemanden, der uns wieder zu Sinnen brachte. Der uns vor Augen führt, wie sehr man sich selbst beschmutzt, wenn man einem Menschen Schmerz zufügt, der einem nichts getan hat. Adam ließen solche Empfindungen vermutlich kalt. Aber auch er, der in seinem Wüten rasend und außer sich gewesen war, hatte die Peitsche niedergelegt.
    Es war das himmelschreiendste Unrecht der Welt, dass ausgerechnet Cyprian de Camoys einen solchen Sohn besaß. Ihn zu schinden, alles zu zerstören, was schön und stark und lebendig an ihm war, verschaffte eine bittere, schmerzhafte Art von Trost. Aber es glich das Unrecht nicht aus, und der Trost verflog im Nu, wenn er nicht sofort eine Steigerung erfuhr. In ihrem Wahn hatten sie beide sich betragen, wie kein Tier sich gegen einen Artgenossen betrug. Schon gar nicht gegen einen Mann, der verwundet und wehrlos am Boden lag. Schon gar nicht gegen einen Mann, der ohne Federlesens bereit gewesen war, für das eigene Kind einen erbärmlichen Tod zu sterben.
    Es war gut, dass Randulph gekommen war. Kein Abt, kein Gegner im Streit um Einkommen, sondern Randulph, Cyprians kleiner Bruder, der Isabel immer ein bisschen an ihren eigenen erinnert hatte.
    »Bist das du, Isabel?«, hatte er gefragt, ohne die Stimme zu erheben. »Die gerechte Herrscherin, der jeder einzelne Mensch auf ihrer Insel am Herzen lag? Dass der Mann, den du zugrunde richten lässt, unschuldig ist, weißt du, oder redest du dir etwas anderes ein?«
    »Mein Sohn war auch unschuldig!«, hatte sie geschrien, und auf einmal waren die Tränen da gewesen, und sie konnte sich wieder vorstellen, wie der kleine Abel ausgesehen hatte. Wie er gesprochen hatte. Wie sein Haar geduftet hatte, wenn sie in manchen Nächten heimlich an sein Bett getreten war. Zwölf Jahre lang war es gewesen, als hätte es von ihrem Kind nur das Grauen seines Todes gegeben, und dann hielt sie in dem Brunnenhof, in dem er gestorben war, plötzlich die verlorenen Erinnerungen wieder in den Händen.
    Leise und traurig war Randulph an ihr vorbei in den Hof getreten. Er hatte Adam beiseitegeschoben, sich auf den Stein gekniet und unendlich behutsam die Arme um den Verletzten gelegt. »Gib mir ein bisschen Wasser, Adam«, hatte er gesagt. »Nur das. Ich bitte dich.«
    Randulph hatte auch geweint. So viele Tränen. So viel endlose Traurigkeit. Zu ihrer Verblüffung bemerkte sie, dass das Weinen und die Traurigkeit viel leichter auszuhalten waren als die zügellose Gewalt. Sie sah hinunter auf ihre Hände, die bis über die Gelenke mit Blut beschmiert waren. Randulph hatte recht, zu fragen: Bist das du Isabel? War das noch sie? War das noch Isabel, Baldwyns Schwester, die in diesem Hof gespielt und sich ihr Leben wie eine Art Vorgarten des Himmels

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