Kains Erben
vorgestellt hatte? Sie hob den Kopf und sah Adam an. Der nickte, rollte die Peitsche auf und legte sie auf den Brunnenrand. »Nimm ihn mit dir«, hatte Isabel zu Randulph gesagt. »Ich lasse einen Eselskarren anspannen, der es den Hügel hinunterschafft.«
Randulph hatte Adam die Schale mit Wasser abgenommen, tauchte seinen weiten Ärmel hinein und rieb mit einer zärtlichen Bewegung seinem Neffen die Stirn. »Danke«, sagte er. »Darf ich hier bei ihm bleiben, bis der Karren fertig ist?«
»Natürlich.«
»Gott helfe euch beiden«, hatte Randulph ohne einen falschen Ton in der Stimme gesagt. Er hatte gewusst, dass sie sich schämten, dass dazu kein Wort von ihm mehr nötig war.
Waren sie, Isabel de Redvers, und Adam de Stratton je zuvor in der Lage gewesen, sich zu schämen?
Und jetzt, fast fünf Jahre später, war Randulph wiedergekommen. Nahezu unverändert stand er in der Tür Ihres Abendzimmers.
»Ehrwürdiger Vater.« Isabel und Adam standen auf.
Randulph schüttelte den Kopf. »Ich bin auch heute als ich selbst hier. Wenn ich den Abt von Quarr später noch brauchen sollte, hole ich ihn her, aber erst einmal will ich sehen, ob wir ohne ihn zurechtkommen. Guten Abend, Isabel. Guten Abend, Adam.«
Isabel wies auf einen gepolsterten Stuhl in der Nähe des Feuers. Adam war längst aufgestanden, um den Diener nach mehr Wein zu schicken. Er betrug sich in Randulphs Gegenwart wie der Herr des Hauses – sie brauchten einander nichts mehr vorzumachen, hatten es im Grunde nie gebraucht.
»Ich möchte dir mein Beileid aussprechen«, sagte Randulph. »Margaret war deine letzte lebende Verwandte. Und sie war eine großartige Frau.«
Isabel senkte den Blick. Dass sie nicht stärker um Margaret trauern konnte, schmerzte. Sie hatte die Schwester nicht gebraucht, hatte sich unzählige Male gewünscht, Margaret sei an Baldwyns Stelle gestorben. Jetzt trauerte sie um die Möglichkeit, um die sie sich gebracht hatte. »Das war sie gewiss«, sagte sie. »Auch wenn ich sie im Grunde kaum kannte. Ach, Randulph. Ich sollte dir mein Beileid aussprechen, nicht du mir.«
Er lächelte. Isabel konnte sich nicht erinnern, es je bei ihm gesehen zu haben, aber er besaß eine Spur des gewinnenden Lächelns, das sein Bruder Gregory gehabt hatte. Nicht die Gruben in den Mundwinkeln, aber das Kräuseln der Lippen, das scheu und ziemlich unwiderstehlich wirkte. »Das würde sich nicht gehören, Isabel. Aber ich hätte dennoch nichts dagegen, wenn du es tätest.«
»Mein Beileid, Randulph. Ich wünschte, euer Leben wäre anders gewesen …«
»Ich nicht«, sagte er. Isabel konnte sich auch nicht erinnern, dass er ihr jemals ins Wort gefallen war. »Ich bin noch aus einem anderen Grund hier. Keiner von euch beiden hat mir widersprochen, als ich dreist behauptete, Margaret sei Isabels letzte lebende Verwandte.«
»Ich hätte dir gerne widersprochen«, sagte Adam und trank Wein. »Aber es tut zu weh, das kleine Mädchen überhaupt zu erwähnen. Ich kann noch immer nicht fassen, dass alles vergeblich sein soll, dass uns kein Weg mehr offensteht, sie aus diesem Grabgewölbe herauszuholen.«
»Ich werde keine Mühe darauf verschwenden, dir zu erklären, dass Fountains Abbey kein Grabgewölbe, sondern vermutlich einer der lebendigsten Orte dieses Landes ist. Mein Anliegen ist dringender. Dir steht ein Weg offen, sie herauszuholen, und ich bin hier, um dich zu bitten, ihn nicht zu nutzen. Amicia kommt hierher. Nach Carisbrooke. Margarets Brief nach ist sie bereits unterwegs.«
Er hatte die letzte Silbe noch nicht gesprochen, als Isabels Herz zu hämmern begann. Das Hämmern des Herzens schien ihren ganzen Körper zu durchdringen, sodass sie kaum aufrecht auf den Beinen stehen konnte, sondern zu schwanken glaubte. Sie brachte kein Wort heraus, nicht einmal einen Gedanken. Adam dagegen sprang auf, lief zu Randulph und packte ihn bei den Armen. »Ist das dein Ernst, Mann? Ist das bei deiner Nase und bei deinen Ohren dein Ernst? Aber sie ist doch dem Orden beigetreten, sie hat doch das Gelübde geleistet!«
»Nein«, erwiderte Randulph, der vergeblich versuchte, Adams Hände abzustreifen. »Hat sie nicht. Wir haben euch belogen. Wir alle. Auch Abt Henry von Fountains.« Randulphs Gesicht war ernst, aber in seiner Stimme erahnte Isabel ein Grinsen.
»Warum?«, stammelte Adam und schüttelte ihn. »Warum, warum, warum?«
»Fragst du mich das ernsthaft? Lass mich los, Adam, oder ich sage kein Wort mehr. Vielleicht möchtest du mich ja mit
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