Kains Erben
betörend, wie es die seines Bruders gewesen war. Cyprian, dem Müdigkeit in allen Knochen saß, stützte die Arme auf den Tisch und ließ den Kopf vornüberhängen. War er der Einzige, der noch hier war? Hatte man ihn wahrhaftig sich selbst überlassen wie einen Greis, den niemand brauchte?
»Cyprian de Camoys?«, schreckte ihn eine viel zu muntere Stimme aus den trüben Gedanken. »Sehe ich richtig? Ach, wie mich das freut, ach, wie mich das freut – guten Abend, Mylord Baron!«
Cyprian wandte den Kopf und sah in ein Gesicht, das ihm vage bekannt vorkam, das er aber trotzdem nicht zuordnen konnte. In jedem Fall besaß der Jungspund, der sich neben ihn auf die Bank gesetzt hatte und sich hemmungslos aus seinem Weinkelch bediente, einen riesigen Kopf, der auf dem schmächtigen Körper affig wirkte, was durch eine löwenartige Haarmähne noch verstärkt wurde. »Ich bewundere Euch seit etlichen Jahren«, beteuerte der Junge mit weinfeucht glänzenden Lippen. »Eure Bemühungen, dem König die Isle of Wight zu gewinnen, hatten etwas von einer alten Tugend, die Englands Adel einst auszeichnete: echte Beharrlichkeit.«
Cyprian hasste es, wenn grüne Bübchen wie Wanderprediger salbaderten. Wäre der Schwätzer sein Sohn gewesen, hätte er ihm zur Abkühlung einen Katzenkopf verpasst. Gleich darauf fiel ihm ein, wo er den Burschen zu verorten hatte: Er war Piers de Montfichet, einer der Grafen aus Essex – natürlich nicht der Alte, der längst das Zeitliche gesegnet hatte, sondern offenbar der nicht weit vom Stamm gefallene Apfel. Erkannt haben konnte der ihn auf keinen Fall, denn soweit Cyprian wusste, waren sie sich niemals begegnet. Also hatte er sich wohl nach seinem Namen erkundigt, weil kein anderer seine Zeit mit ihm verschwenden wollte. Cyprian warf sich in den Rücken, verschränkte die Arme im Nacken und gähnte mit lautem Jaulen. »Ich denke, ich gehe zu Bett«, sagte er ohne einen weiteren Blick auf Piers de Montfichet.
»Das wäre bedauerlich«, bemerkte dieser, auf einen Schlag ernst.
»Ich wüsste nicht, warum.«
»Die Insel«, nuschelte Montfichet durch schadhafte Zähne. »Die Insel.«
Cyprian musterte ihn verächtlich. Sein Sohn hatte prächtige Zähne gehabt, er selbst hatte ihn gelehrt, sie mit einem Sud aus Essig, Birkenlaub und Minze blank zu halten. »Bleibt mir mit Eurer verdammten Insel vom Leib!«
»Heißt das, Ihr habt die Insel aufgegeben? Wollt Ihr mich so enttäuschen, Mylord?«
»Was Euch enttäuscht, schert mich wie das, was meinem Gaul aus dem Arsch fällt«, erwiderte Cyprian.
»Und was den König enttäuscht? Ich dachte, es sei Euch eine Herzensangelegenheit, die Insel in die Hände zurückzulegen, in die sie gehört.«
»Jetzt spitz mal die Ohren, mein Bürschlein«, sagte Cyprian, sah sein Gegenüber zurückzucken und genoss es, sich wie ein junger Mann nach Herzenslust danebenzubenehmen. Warum nur hatte er ständig Gregory imponieren wollen, warum hatte er sich dieses Vergnügen nicht viel öfter gegönnt? »Isabel de Fortibus ist eine alte Frau«, fuhr er fort, und auch von diesem Satz genoss er jedes Wort. »Sie ist so fruchtlos wie ein verdorrter Ast, und wenn sie ins Gras beißt, fällt die Insel von selbst an den König zurück.«
»Tut sie das, Mylord?« Schneller als erwartet hatte sich der Grünschnabel gefasst. »Meine Leute und ich haben Grund, das zu bezweifeln. Die Gerüchte von der geheimnisvollen Erbin sind während der vergangenen Jahre nie völlig verstummt.«
»Und wozu taugte eine verdammte Erbin?«, schnitt ihm Cyprian das Wort ab. »Isabel de Redvers war immerhin Isabel de Redvers. Einem gewöhnlichen Weibsbild, noch dazu einem Bastard, würde niemals gestattet, das Erbe anzutreten.«
»Das käme darauf an, wessen Bastard das Mädchen wäre, oder nicht?«
Cyprian hätte um ein Haar schallend aufgelacht. Sie ist Adam de Strattons Bastard, hätte er seinen Hohn durch den menschenleeren Saal schleudern wollen. Sie ist nichtswürdig, die Tochter des größten Verbrechers des Landes, den sie jetzt, wo der König wieder da ist, endlich in sein Verhängnis treiben sollten, damit ich ihn krepieren sehe, ehe es mit mir selbst zu Ende geht. Er verstummte zum ersten Mal in seinem Leben, bevor er etwas gesagt hatte. Er wusste, wessen Kind das Mädchen war, weil der Prahlhans Adam in einem schwachen Moment nicht hatte an sich halten können. Aber wer wusste es noch, und wie ließ es sich beweisen? Isabel besaß die Klugheit des Teufels. Hatte sie von Anfang
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