Kains Erben
törichtes Beispiel.«
»Und das irrwitzigste«, knurrte Adam. »Natürlich könnte ich dergleichen niemals zulassen.«
»Du wirst es zulassen müssen, denn das Recht eines Vaters nach dem Gesetz steht dir nicht zu. Außerdem höre ich, dass man dir so dicht auf den Fersen ist wie nie zuvor.«
»Pah!«, rief Adam aus. »Ich bin bisher durch jede Masche ihres Netzes geglitten, und ich werde auch diesmal nicht darin hängen bleiben.«
»Aber nicht noch einmal auf Amicias Kosten«, warnte ihn Randulph. »Und ehe wir noch mehr Zeit mit Geschwätz über nicht vorhandene Heiden vergeuden, will ich mit euch über Amicias Sicherheit sprechen. Sie kommt in Verkleidung. Mit ihrem Geleit wird sie in Quarr eintreffen, und von dort muss sie abgeholt werden. Lasst uns zusammen überlegen, wie wir das alles so unauffällig wie möglich zu Wege bringen.«
Sie setzten sich miteinander um den Tisch mit Adams Schachbrett und sprachen über den Tag, an dem die kleine Amicia nach Hause kommen würde. Isabel hatte nie in ihrem Leben Männer für sich sprechen und über ihre Belange entscheiden lassen, aber heute saß sie stumm dabei und hörte mit halbem Ohr, was Adam und Randulph erwogen. Ihre Aufmerksamkeit war auf etwas anderes gelenkt, das ihr rasende Angst einjagte und sie zugleich geradezu trunken machte: Es war, als hätte ihr Herz mit seinem Hämmern die Schichten des Eises ins Rutschen gebracht. Jetzt hämmerte es nicht mehr, aber Isabel bildete sich ein, aus ihrer Brust jenes Knacken zu hören, mit dem Eiszapfen von Vordächern schmelzen, ehe sie wie glitzernde Pfeile zu Boden schießen.
37
K
urz nach Ostern des Jahres 1290 verließen Amicia und Vyves Yorkshire. Vyves war bereits zwei Wochen zuvor eingetroffen, aber Amicia hatte die Priorei nicht verlassen wollen, ehe der Palmsonntag hinter ihr lag. Sie reisten als christliches Kaufmannsehepaar, das eine Wagenladung der berühmten Schafwolle von Fountains eingekauft hatte, und wurden von einem bewaffneten Reiter begleitet. Auf halber Strecke würden sie in einem Gasthaus, dessen Wirt für sein Schweigen bezahlt worden war, die Verkleidung wechseln. Amicia würde zu einer verwitweten Mutter werden, die ihren Sohn nach Quarr begleitete, um ihn als Novizen der Abtei zu übergeben. Wie es von dort nach Carisbrooke weiterging, wussten sie nicht, doch Margaret hatte Amicia versichert, dass für alles gesorgt war.
Margaret. Die bereits todkrank gewesen war, als sie Amicia ihre Geschichte anvertraut hatte. Und die sich dennoch bei der Vorbereitung ins Zeug gelegt hatte wie eine ausgefuchste Verschwörerin. Gefälschte Briefe waren ebenso versandt worden wie echte, damit Verfolger getäuscht wurden und ihre Spuren in die Irre führten. Einmal war sogar ein Gespann beladen und in die falsche Richtung geschickt worden, und Abt Henry von Fountains stellte die Reisenden in einem Geleitbrief unter seinen persönlichen Schutz. Margaret hatte jede Maßnahme mit Amicia besprochen, ihr aber eines standhaft vorenthalten: den Grund für all diese Vorsicht, den sie erst auf der Insel erfahren sollte.
Wenn ich es weiß, werde ich auch wissen, warum Magdalene sterben musste, begriff sie. Warum Hugh und Timothy sterben mussten und ob Abel tatsächlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Würde sie dafür stark genug sein? Es machte ihr solche Angst, dass sie versucht war, die Reise abzusagen. Wenn sie all das wusste, würde sie dann auch begreifen, warum sie verraten worden war, so tief und verletzend, dass sie keinen Menschen in der Nähe der Wunde ertrug? Nicht einmal sich selbst. Und nicht einmal Gott. Wie sollte sie den Mut finden, den Verband von der Wunde zu reißen und noch einmal daran zu rühren?
Als Margaret gestorben war, hatte sich Amicias Angst noch gesteigert. Ihre einsamen Nächte im Gästehaus waren schlimmer als jede der Albtraumnächte, die sie als Mädchen auf Quarr hatte durchstehen müssen.
Dann aber war Vyves gekommen. Seine Arme, seine Stimme, seine bernsteinhellen Augen. War sie je im Leben so erleichtert gewesen?
Sie reisten als verheiratetes Paar und brauchten sich weder bei Tag noch bei Nacht zu trennen. Da Vyves nicht reiten konnte, fuhr er auf dem Karren mit der Wolle mit, und Amicia ritt neben ihm auf dem schwarzen Pferdchen, auf dem sie vor fünf Jahren gekommen war. Die Welt außerhalb der Austernschale schüchterte sie ein und rief wieder die furchtbaren Bilder wach, doch immerhin war sie nicht allein. Bei Nacht schliefen sie in Gasthäusern, in
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