Kains Erben
Frieden in Gefahr: Adam de Stratton, der Sohn des Stallmeisters. Als sie Kinder waren, hatte er mit ihnen gespielt, aber oft hatte Isabel ihn fortgeschickt, weil er für den vorsichtigen Baldwyn zu wild war und auf die höchsten Mauern kletterte, auf die sich der Bruder nicht wagte. Isabel wollte nicht, dass Baldwyn deswegen traurig war. Dass sie selbst gern auf manche Mauer geklettert wäre, verschwieg sie ihm.
Der wilde Junge von einst war ein wilder Mann geworden. Er trug den Habit und die Tonsur des Klerikers, doch er machte keinen Hehl daraus, dass sie für ihn nur eine Stufe auf dem Weg zu Reichtum und Macht waren. Die Berater warnten Isabel vor ihm, wie einst ihre Erzieher sie gewarnt hatten. Er sei des Teufels, hieß es. Er mache vor nichts halt. Die Inhaber fremder Pfründen betrüge er um Einkünfte, und den Juden, die unter überhöhten Steuerlasten ächzten, kaufte er für läppische Summen die Schuldscheine ab. Bei den Mägden stand er im übelsten Ruf, denn er missachtete das Gelübde, das er geleistet hatte, ebenso wie jeden jungfräulichen Ruf. Dass er sich der Schwarzen Kunst hingebe, wurde behauptet, dass er jungen Männern das Schamhaar ausreiße und sich daraus eine Einreibung bereitete, damit sein Haar schwarz wie der Schlund der Hölle und sein Leib erfüllt von schamloser Jugend blieb.
Er werde am Galgen enden, tuschelten Dorfbewohner, die an den Brunnen zum Schöpfen kamen, und er werde jeden, den er zu fassen bekäme, mit sich ins Verderben reißen.
Das alles mochte der Wahrheit entsprechen, doch Isabel hatte genug Böses erlebt, um sich davor nicht zu fürchten. Sie fürchtete den Sohn des Stallmeisters, weil er ihrem Herzen in seiner eisigen Umschließung keinen Frieden ließ, sondern daran rieb, bis die Kruste taute.
»Begierig«, »skrupellos«, »durchtrieben bis aufs Blut«. So wurde der Mann beschrieben, dessen Kopf hier und jetzt in ihrem Schoß lag. Er ging über Leichen, er wäre zur Not auch über ihre Leiche gegangen. Aber er war noch mehr. Einst entwurzelt, weshalb er einen Ort mehr liebte als Menschen. Vom Leben misshandelt, weshalb er stets auf der Hut war, um den ersten Schlag führen zu können. Verletzt und einsam, weshalb er unnahbar blieb und auf den Rest der Welt herabsah. Adam de Stratton war wie sie. Der Einzige, der ihren Schmerz kannte und teilte, auch wenn er die Schuld daran trug. Sie würde ihm nie vergeben, aber wenn er ging und sie wochenlang nicht wusste, wo er sich aufhielt, war sie mit dem Schmerz allein, und das schreckte sie.
»Bleib hier«, sagte sie, nahm ihm den Becher fort und schenkte Wein nach. »Es ist nicht die richtige Zeit zum Reisen. Auf dem Festland sollen die Flüsse überfroren sein, und du bist längst nicht mehr so jung, wie du glaubst.«
Sie schob ihm eine Süßigkeit zwischen die Lippen, Gebäck, gefüllt mit zarter Creme von Mandeln, gedörrten Beeren und Rosenblättern. Seine Zungenspitze leckte die Mundwinkel. Er war hart und entbehrungsreich aufgewachsen und gierte umso wilder nach den Feinheiten des Lebens. Sein Surcot aus edelstem, nachtblauem Samt zog seinen geistlichen Stand ins Lächerliche.
»Hast du mich gehört?«
»Das habe ich allerdings, und bei Gott, ich täte nichts lieber, als den endlosen Winter an deinem Feuer zu verbringen, mir den Wanst zu mästen und den Pelz zausen zu lassen. Aber was hat ein Fuchs, den die Meute hetzt, für eine Wahl?«
»Hast du nicht gesagt, du hast dafür gesorgt, dass uns der Hetzer nicht mehr behelligt?«
»Das habe ich. Aber es gibt andere. Dieser König wird nicht ruhen, ehe er jeden Stein, der ihm im Weg liegt, zu Sand zerklopft hat. Und zu den Steinen im Weg gehören bedauerlicherweise wir, Fürstin meines Herzens.«
»Pah.« Isabel schnaubte. Sie war Englands reichste und womöglich mächtigste Frau. Weshalb sollte sie nicht in einem Gemach über ihrer Halle mit Konfekt füttern dürfen, wen immer sie wollte? »Wenn deine Leute mit dem albernen Eintreiber nicht fertiggeworden sind, dann gebe ich dir andere. Lass sie dem Büttel den Hals umdrehen, und wir bekommen einen ruhigen Winter.«
»Aber das habe ich doch getan! Es war einer von Cyprians Rittern. Glaubst du, ich lasse mir eine Gelegenheit entgehen, solchem Ungeziefer auch nur einen Bruchteil dessen heimzuzahlen, was Cyprian uns getan hat? Es war das reinste Schlachtfest, und sein Geld habe ich ihm gelassen, damit jeder sieht, dass er nicht für den Mammon, sondern für sein schwarzes Herz gestorben ist. Nur das Schwert
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