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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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»Vorwärts, Mädchen! Sehen wir zu, dass wir dich ins Warme bekommen.«
    Schnee wirbelte Magdalene ins Gesicht und brannte in ihren Wunden, aber sie verspürte nur Erleichterung.
    Der Mönch half ihr auf den Rücken des ungesattelten Pferdes und schwang sich selbst hinterdrein. Nahezu aus dem Stand trieb er das Tier in Galopp. Magdalene hatte nicht gewusst, dass Randulph reiten konnte, sie hatte angenommen, einem Ordensbruder sei etwas derart Weltliches fremd. Sie würde ihm für das, was er getan hatte, auf ewig dankbar sein. Als die Lichter und Rauchfahnen der Abtei in Sicht kamen und er das Pferd zu langsamerer Gangart zügelte, schmiegte sie sich daher an ihn, wie sie es bei Timothy tat, wenn sie ihm Freude schenken wollte.
    Der Mönch versetzte ihr einen Stoß in den Rücken. »Lass das bleiben, hörst du? Ich weiß, du denkst dir nichts dabei, aber ich verbiete es dir.«
    »Habt Ihr es nicht gern?« Beim Sprechen klapperten ihr die Zähne, und in dem zerschlagenen Kiefer pochte Schmerz.
    »Nein«, sagte der Mönch, »ich habe es nicht gern. Sag, gibt es jemanden, bei dem du die Nacht verbringen kannst – oder zumindest einige Stunden, bis die Ritter zu Bett gegangen sind? Wenn ich dich jetzt zur Amsel bringe, kann ich sie ihnen genauso gut ans Messer liefern.«
    Magdalene verstand und nickte. »Bringt mich zu Bruder Timothy.«
    »Sei’s drum«, brummte der Mönch. »Wenn du wieder bei der Amsel bist, zeig ihr deine Blessuren, und erzähl ihr, was dir zugestoßen ist. Vielleicht begreift sie dann endlich, dass sie auf der Hut sein muss«, sagte er dann. »Bis ich euch Entwarnung gebe, soll keiner von euch sich im Freien zeigen, verstanden? Und deinem Herrn sag, er soll sich im Gehen üben, damit er schleunigst wieder auf den Beinen ist.«
    »Er übt sich doch!«, rief Magdalene. So schwer es ihr fiel, diese Worte durften nicht ungesagt bleiben. »Er hat es nur nicht leicht mit uns allen im Haus. Es ist eine Schmach für ihn, sich vor Frauen so schwach zu zeigen.«
    »Das wird er auf sich nehmen müssen«, erwiderte der Mönch, brachte das Pferd vor Bruder Timothys Hütte zum Stehen und sprang ab. »Sobald er halbwegs genesen ist, müsst ihr von hier fort, nur darauf kommt es an.«
    Timothys Gier war für Magdalene zum Problem geworden. Sie hatte bereits erwogen, sich Koriander und Eisenkraut zu besorgen und in sein Essen zu mischen, damit die Kräuter die männliche Lust schwächten. In dieser Nacht aber war ihr seine Nähe ein Segen. Er hielt sie in den Armen, bis die Wärme in ihre Glieder zurückkehrte und sie die überstandene Angst aus sich herausgeweint hatte. Er tupfte ihre Wunden sauber und sagte: »Ich weiß, ich darf niemandem Böses wünschen. Aber wenn ich es dürfte, dann wünschte ich denen, die dir das angetan haben, alles Böse der Welt.«

9
    E
r sollte Zisterzienser werden, dachte Amicia, denn Matthew verstand sich aufs Schweigen wie kein Zweiter. Wenn sie beide allein im Haus waren und sie ihre Arbeit verrichtete, spürte sie, wie seine Blicke ihr folgten. Er hätte alles leichter machen können, indem er nur ab und an ein Wort sprach, doch von ihm kam keines, das sie ihm nicht abzwang. Und da sie nicht fand, er verdiene, dass sie es ihm leichter machte, sprach auch sie nicht zu ihm, sondern nur zu dem Hund.
    »Wenn ich nachher Knochen für die Kranken auskoche, bekommst du auch deinen Teil«, sagte sie etwa, oder: »Willst du nach draußen, dir nasse Pfoten holen? Ja, lauf du nur, dir macht der Schnee nichts aus!«
    Dass er ebenfalls mit dem Hund sprach, wusste sie. Sie hatte ihn mehrmals ertappt, wenn sie zur Tür hereinkam, doch sobald er sie bemerkte, verstummte er. Ein anderes Mal, als sie früher als geplant aus der Kapelle zurückkehrte, saß er auf dem Rand des Bettes und hielt das Instrument auf den Knien, mit dem er hergekommen war, die schöne, rotbraune Laute. Die leise, wie erträumte Folge von Tönen, die durch den Raum perlte, konnte unmöglich von den Händen eines so unleidlichen Mannes stammen. Amicia wollte sie einfangen, ihren Zauber bewahren, aber er entdeckte sie und stellte die Laute wortlos fort.
    Mit den Gehübungen, die für seine Genesung unumgänglich waren, verhielt er sich ebenso. Sie hatte angeboten, ihm zu helfen, er aber hatte sie so schroff zurückgewiesen, dass sie bei sich gedacht hatte: Dann tu eben, was du nicht lassen kannst – setz dich auf deinen Stolz wie auf ein Nagelbrett, aber jammere nicht, wenn es sticht.
    Er klagte tatsächlich nie. Er

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