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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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übte, aufzustehen und im Haus umherzugehen, wann immer er sich allein glaubte. Hinterher stand ihm der Schmerz, den er sich dabei zufügte, ins Gesicht geschrieben, aber Amicia hatte kein Mitleid mit ihm. Wenn er fand, es sei unter seiner Würde, sich von ihr helfen zu lassen, geschah es ihm recht.
    War sie ehrlich, so war sie froh, ihm nicht helfen zu müssen. Der Anblick seiner Augen versetzte sie noch immer in Panik. Über den Grund dafür wollte sie ebenso wenig nachdenken, wie sie darüber nachdachte, warum sie das Bild von Thomas à Becket nicht in ihrem Haus haben und warum sie nicht sehen wollte, was im Innenhof des Klosters stand. Dennoch quälten sie die Fetzen in ihrem Kopf, wie sie es seit Jahren nicht getan hatten. Vermutlich hatte Randulph recht: Wenn sie sich je zum Bild zusammenfügten, könnte sie nicht stark genug sein, es auszuhalten.
    Sie schlief schlechter denn je und träumte noch schlechter. Wütend wünschte sie, Matthew de Camoys wäre nie nach Quarr gekommen, um ihr stilles Leben aus den Angeln zu heben. Einmal ertrug sie es nicht länger, fuhr herum und herrschte ihn an: »Was hattet Ihr überhaupt auf unserer Insel zu suchen? Ich habe es mir hundertmal erklären lassen, doch ich verstehe immer nur eines: Der König hat kein Recht auf unsere Steuern. Die Einnahmen gehören der Gräfin, wie der Eroberer es ihrer Familie vor zwei Jahrhunderten zugesichert hat.«
    Matthew de Camoys saß reglos auf dem Bett, lehnte mit dem Rücken an der Wand und sah sie stumm aus seinen schwarzen Augen an.
    »Welchen Judaslohn zahlt Euch Euer König dafür? Zwei Shilling pro Tag? Und dafür gebt Ihr Euch her und brecht Gottes Gebot?«
    »Welches Gebot?«, entfuhr es ihm.
    Amicia unterdrückte einen Laut des Triumphes. »Das siebente. Du sollst nicht stehlen.«
    Sie sah, wie seine Hände sich auf dem Betttuch zu Fäusten ballten und wie die Muskeln der Kiefer sich spannten. Sie hatte dasselbe bei Randulph beobachtet – einen Zorn, der ihn mit solcher Heftigkeit befiel, dass er sich kaum beherrschen ließ. In einer jähen Eingebung überwand sie ihre Angst und ging noch einen Schritt auf ihn zu. »Ist Euch danach, mich zu schlagen, weil ich die Wahrheit sage? Warum tut Ihr es dann nicht?«
    So weiß traten die Knöchel seiner Hände heraus, dass Amicia zu spüren glaubte, wie er sich die Nägel in die Handflächen bohrte. Über seine Schultern rann ein Zittern; es verriet den Kampf, der in seinem Innern tobte. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, aber er trug den Sieg davon. Einen Wimpernschlag später entspannten sich seine Züge. »Gräfin Isabel ist es, die stiehlt«, sagte er jetzt wieder geradezu gleichmütig. »Nach dem Tod ihres Bruders hätte die Insel an die Krone zurückfallen müssen. Zumindest hätte sie den Grafen von Leicester als ihren Erben anerkennen müssen.«
    »Welchen Grafen von Leicester?«
    »Edmund, genannt Crouchback. Den Bruder des Königs.«
    »Und warum sollte der ihr Erbe sein?«
    Seine Mundwinkel zuckten. »Er ist ihr Schwiegersohn.«
    Amicia stockte. Wie war das möglich? Die Brüder vermieden es, mit ihr über derlei Belange zu sprechen, doch aus dem wenigen, das sie wusste, war immer hervorgegangen, dass die Gräfin kinderlos war.
    Offenbar bemerkte Matthew ihre Verstörung und genoss sie. »Edmund Crouchback war der Gatte ihrer Tochter Aveline«, erklärte er endlich. »Der Ehevertrag war bereits während der Regierung Henrys aufgesetzt worden, und als Edward den Thron bestieg, wurde die Ehe vertragsgemäß geschlossen. Isabel hat vermutlich gewusst, warum sie dem Grafen ihre schwächliche Tochter als Ersatz für sich selbst aufschwatzte, denn Aveline starb im ersten Ehejahr. Aber hatte Isabel damit das Recht, ihm das Erbe streitig zu machen? Ist solche Dreistigkeit kein Diebstahl für dich?«
    Amicia hatte ihm kaum zuhören können. Als sie den Blick auf ihre Hände senkte, sah sie, dass sie bebten wie welkes Laub. Aveline. Sie wünschte, sie hätte dieses Gespräch nie begonnen. »Was verlangt Ihr denn?«, presste sie mühsam hervor, um nur von dem Namen abzulenken. »Soll die Gräfin dem Schwiegersohn die Insel überschreiben, solange sie noch lebt?«
    »Das wäre angemessen. Dass eine Frau ein solches Erbe für einen minderjährigen Sohn verwaltet, ginge noch an. Aber auf Carisbrooke gibt es keinen Sohn.«
    Carisbrooke. Diesen Namen wollte sie noch weniger hören. Wann immer jemand ihn aussprach, traf es sie wie ein Schlag. Und doch hatte sie sich schon gefragt, ob es

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