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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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werde sie töten, er habe alle Menschen ausgelöscht, die sie kannte. Die Albtraumnächte ihrer Kindheit fielen ihr ein, in denen Abt Randulph zu ihr gekommen war und sie gehalten hatte, bis das Entsetzen von ihr abglitt. Einmal hatte er gesagt, sie solle, wenn sie allein war, daran denken, dass Gott sie hielt. Sie hatte es lange Zeit vergessen, doch jetzt war es ihr wieder nah. Ebenfalls tonlos stimmte sie in Sir Matthews Lachen ein, dann trank sie den bitteren Saft.
    »Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich wollte Euch nicht wecken.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht geschlafen. Und ich kenne das auch.«
    Erst jetzt sah sie, dass er angekleidet war. »Was kennt Ihr auch? Böse Träume?«
    Er nickte. »Noch Wermut?«
    »Nein. Wovon träumt Ihr?«
    Er zuckte mit den schweren Schultern. Sein Gesicht verschloss sich. Jeder Rest von Bedrohlichkeit war verschwunden, und Amicia ertappte sich bei dem Wunsch, seine Lippen zu berühren und ihm zu sagen, dass es nicht wehtat zu sprechen. Im Gegenteil. Aber hätte sie ihm von ihrem Traum erzählen können, wenn er sie gefragt hätte? Einen Herzschlag lang pressten sich ihre Lippen so fest aufeinander wie seine.
    »Brauchst du noch etwas?«
    »Nein. Nichts mehr«, sagte sie. »Habt Dank.«
    Abwehrend hob er die Hand. »Den Dank schulde wohl ich.«
    Allerdings, Mylord, dachte Amicia amüsiert. »Tut Ihr das?«, fragte sie mit der Spur eines Lächelns. »Und ist Euch daran gelegen, Eure Schuld zu begleichen?«
    »Ich danke dir dafür, dass du meinen Hund in dein Haus genommen und versorgt hast«, sagte er.
    Einige Augenblicke lang war Amicia sprachlos vor Verblüffung. Verhöhnte er sie? Er schien es vollkommen ernst zu meinen. Sie wollte zornig sein, doch das sonst so vertraute Gefühl kam nicht auf. »Legt Euch schlafen«, sagte sie irgendwann. »Ich komme jetzt zurecht.«
    Kurz schien er zu zweifeln, dann stand er auf und blies die Kerze aus. »Gute Nacht«, sagte er im Finstern.
    »Gute Nacht«, sagte Amicia.
    Am nächsten Morgen war alles beim Alten: Er schwieg sich aus und verhielt sich, als sei er der Herr des Hauses und die Übrigen seien lästiges Gesindel, mit dem er sich notgedrungen herumschlug. Drei Tage später begann der Schnee zu schmelzen. Unter der schwindenden weißen Decke schoss das Grün heraus, als habe es sich seit Monaten für diesen Augenblick gestärkt.
    Amicia hätte aufbegehren können, sich weigern, flüchten, aber sie fühlte sich jeglicher Kraft beraubt. Der Gedanke, auf der Welt allein zu stehen und in die Leere zu gehen, nahm ihr den Kampfgeist, und sie besaß nicht den leisesten Ansatz eines Plans. Also fügte sie sich und wünschte sich auf einmal, es möge schnell gehen. Wenn sie die Insel verlassen musste, dann wollte sie nicht noch einmal erleben, wie herzzerreißend schön sie im Frühling war.
    Sir Matthew ging mehrmals ins Kloster und kehrte mit Ausrüstungsstücken zurück, die aus der Kleiderkammer stammen mussten. Wenn ein Mann als Novize in die Gemeinschaft der Brüder aufgenommen wurde, legte er seine weltlichen Kleider dort ab und erhielt dafür das Novizenhabit mit dem weißen Skapulier. Auf diese Weise ließ er das Leben hinter sich, das er zuvor in der Welt geführt hatte.
    So war es auch bei mir, dachte Amicia. Ich bin nach Quarr gekommen und habe abgestreift, was immer davorlag. Allerdings wurde der Besitz der Novizen in der Kleiderkammer aufbewahrt, und wenn einer von ihnen sich entschied, das Kloster ohne Profess zu verlassen, so erhielt er ihn zurück. Von ihrem eigenen Leben hingegen gab es dort nichts. Nur ein Buch, vor dem sie sich fürchtete, und den Stein an ihrem Hals, in den eine Spinne eingeschlossen war.
    Es ging schnell. So wie sie es sich gewünscht hatte. Zaum und Sattelzeug des Pferdes wurden ausgebessert, und sie erhielten zwei in Quarr gezogene Wallache als zusätzliche Reittiere. Der zweite Wallach war für Bruder Timothy bestimmt, den Randulph ihnen zum Geleit mitgeben wollte. Der Stumme würde hingegen zu Fuß gehen, er hatte vor Pferden Angst und würde sich auf keines setzen.
    Unter den Stücken, die Sir Matthew aus der Kleiderkammer bekam, befand sich zu Amicias Verblüffung ein Schwert. Wie kam die Abtei dazu? Ein Schwert war eine Kostbarkeit, die Väter ihren Söhnen vererbten, und wer keine Söhne hatte, der hatte Brüder oder Neffen. Kein künftiger Novize hätte eine so schwer zu ersetzende Waffe mitgenommen, um sie in der Kleiderkammer eines Klosters verrosten zu lassen. Das Schwert,

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