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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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sprach ebenfalls kein Wort, und an seiner Seite ging der Stumme. Als hätten sie uns allen dreien die Zungen herausgeschnitten, dachte Amicia. Der namenlose Hund besaß die seine noch, sie hing ihm lang aus dem Maul, doch er stimmte respektvoll in das Schweigen ein.

Zweiter Teil
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    »Dirigendi fratres in via omnium fratrum vel abbatis se orationi commendent et semper ad orationem ultimam operis dei commemoratio omnium absentum fiat.«
    »Werden Brüder auf Reisen geschickt, so empfehlen sie sich den Gebeten aller Brüder und des Abtes. Beim letzten Gottesdienst werde stets all jener gedacht, die abwesend sind.«
    Benediktsregel, Kapitel 67.1, 2

10
    C
yprian sprengte im Galopp über den Sattelplatz und zügelte den stämmigen andalusischen Schimmel erst eine knappe Pferdelänge vor seinem Kastellan. Erdbrocken wirbelten auf, als sich die Vorderhufe des Tieres in den Boden gruben. Der Kastellan blieb ungerührt stehen. Er war derlei von seinem Herrn gewohnt.
    »Sprecht. Sofort!«, bellte Cyprian, der stärker außer Atem war, als er sich eingestehen mochte.
    Es gehörte zu Roberts Vorzügen, dass er Befehle ohne Federlesens befolgte. »Sie sind zurück, Mylord Baron«, verkündete er.
    »Das ist mir klar. Andernfalls hättet Ihr mich nicht gestört, hoffe ich.«
    »Natürlich nicht, Mylord Baron.«
    »Ich warte auf Euren Bericht, Mann.«
    »Es war, wie Ihr vermutet habt. Die Brüder wollten uns wegen des Herrn Matthew zum Narren halten und ebenso wegen des Mädchens. Sie haben irgendein braunes Tierchen vorgeschoben, das nur halb bei Verstand ist, und behauptet, es wäre die Hure der Mönche. Aber unsere Leute lassen sich nicht für dumm verkaufen.« Der Kastellan sah aus, als hätte er sich gern in die Brust geworfen, hätte sein verkrümmter Körper ihn nicht daran gehindert.
    Cyprian nickte kurz. Auf diese Nachricht seines Kastellans hatte er den ganzen Tag gewartet. Er hatte ihn bei den Stallungen entdeckt, sobald er vom Ausritt mit seinem Falkenmeister zurückgekommen war, und hatte nicht unnötig Zeit verstreichen lassen. Der Falkenmeister hatte ihm ein junges Habichtsweibchen vorführen wollen, ein schönes, nussbraun gemasertes Tier, das er den Winter über abgetragen hatte und das in wenigen Wochen bereit zur Beizjagd sein würde. Es war nicht so hinreißend, wie Sham es einst gewesen war, aber es trug die Haube, als sei es damit zur Welt gekommen. Die verfluchte Sham wollte er ohnehin vergessen, so wie die Schnapsidee, einem wilden Tier einen Namen zu geben. »Ich verbiete dir, sie zu benennen«, hatte er dem Falkenmeister gesagt. »Sie ist ein Habicht, kein Mensch, und selbst unter Menschen haben die meisten keinen Namen verdient.«
    Der Falkenmeister riet ihm nicht zum ersten Mal, den Vogel selbst eine Zeit lang zu tragen, um dessen Vertrauen zu gewinnen, aber Cyprian fehlte die Geduld. Er hatte nie begriffen, warum Menschen sich mit Tieren anders beschäftigten als mit ihren Waffen aus Metall. Ihm war die Natur der verstandeslosen Wesen gelinde unheimlich und gänzlich fremd. An der Jagd mit Raubvögeln liebte er lediglich die Schnelligkeit, den tödlichen Stoß aus ahnungsloser Stille. Als Baron waren ihm ohnehin nur Vögel des niederen Fluges gestattet, während die des hohen Fluges – die majestätischen Falken, die aus schwindelnder Höhe auf ihr Opfer niederschossen – dem König und seinen Auserwählten vorbehalten blieben.
    Allein der Gedanke ließ Cyprian ausspucken. Sein Vater hatte mit Falken jagen dürfen, bis er alles verscherzt hatte. Und nicht nur sein Vater! Der Spuckefetzen beschrieb einen Bogen und landete vor den Füßen des Kastellans, der auch diesmal ungerührt stehen blieb. Er wollte eben mit seiner Rede fortfahren, als einer der Stallknechte herbeieilte. »Soll ich ihn trockenführen, Mylord?«, rief er, wies auf den Andalusier und vollführte im letzten Schritt eine lächerlich tiefe Verbeugung.
    Die Angewohnheit, ein scharf gerittenes Pferd in endlosen Runden über den Hof zu führen, war diesen Knechten nicht auszutreiben, genauso wenig wie sich der Falkenmeister von der Überzeugung abbringen ließ, ein Mann müsse seinen Balzvogel auf der eigenen Hand abtragen. Cyprian waren solche Praktiken zuwider. Lieber verlor er ein teures Pferd, als es zu verzärteln wie ein schwachbrüstiges Mädchen. Und um wie viel mehr galt das für den Vogel! Einer der Stauferkaiser hatte mit

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