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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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letzten Rest ihres Bewusstseins spürte sie, wie Matthew eine Decke über sie breitete.
    In dieser Nacht suchte sie kein Albtraum heim, und sie erwachte erst, als sich ein blendender Sonnenstrahl durch eine Ritze des Fensterladens stahl. Auf dem riesigen Bett lagen sie und Magdalene allein. Das Mädchen hatte sich zur Kugel gekrümmt und die Arme um die Beine geschlungen. So hatte Magdalene auch in Amicias Hütte oft geschlafen. Ihr Atem ging flach, aber regelmäßig. Auf einem Strohlager neben dem Bett lagen Timothy und Hugh, die beide friedlich schnarchten.
    Amicia streckte ihre Glieder. Erst jetzt, wo sie ruhte, spürte sie die Anstrengung der letzten Tage in den Muskeln. Wie schön wäre es doch, liegenzubleiben und noch einmal einzuschlafen, ehe ihre Gedanken zu sich kamen und von Neuem begannen, sie zu quälen!
    Ein Geräusch drang in den süßen Dämmerzustand. Die Tür wurde aufgeschoben, und im Spalt erschien Matthew de Camoys. Sobald er bemerkte, dass sie wach war, hob er die Hand. »Ich will dich nicht stören«, sagte er. »Nur nach Mag sehen.«
    Hinter ihm drängte der Hund ins Zimmer, um Amicia schwanzwedelnd zu begrüßen. Sie setzte sich auf und liebkoste das breite, feuchte Gesicht. Der Ritter, der sich über Magdalene gebeugt und nach dem Schlag des Blutes an ihrem Hals getastet hatte, blickte jäh auf und zu ihr hinüber. Verwundert stellte Amicia fest, dass seine Augen ihr heute keine Angst machten. Sie waren schwarz, von dunklen Schatten umgeben und erfüllt von etwas, das sie im Innersten traf. Hätte sie in den Augen eines anderen Menschen solch einen Ausdruck entdeckt, hätte sie ihn für Sehnsucht gehalten – und für grenzenlose Erschöpfung. Das Haar hing ihm wie einem Jungen ungekämmt in die Stirn. »Ihr solltet Euch schlafen legen«, sagte sie. »Magdalene würde nicht wollen, dass Ihr zusammenbrecht.«
    Müde zuckte Matthew mit den Schultern und deckte Magdalene wieder zu. »In einer Stunde kommt die Hebamme, um nach ihr zu sehen.«
    »Was fehlt ihr?«, fragte Amicia.
    Seine Züge verhärteten sich. »Ich weiß nicht, ob ich zu dir davon sprechen sollte.«
    »Und warum nicht?«
    Sah sie recht, oder täuschte sie das schwache Licht? Es hatte den Anschein, als überzögen seine Wangen sich mit einem Hauch von Rot. »Du bist im Kloster aufgewachsen«, murmelte er und senkte den Kopf.
    Trotz aller Sorge um das Mädchen musste Amicia lachen. »Ein Mönch bin ich trotzdem nicht, und ich habe gesehen, woher ihr das Blut geflossen ist.«
    Abrupt wandte er sich zum Nachtkasten, nahm einen Tiegel und hielt ihn in die Höhe, sodass Amicia die Reste einer grünlichen Paste darin sehen konnte. »Weißt du, was das ist?« Seine Stimme bebte vor Zorn.
    »Nein. Sollte ich?«
    »Da sei Gott vor! Es ist ein verdammtes Teufelsgemisch aus Kräutern, das die verdammten Frauenwirte den Mädchen geben, damit sie sich die Leiber vergiften.«
    Amicia pfiff durch die Zähne. »Zwei Flüche in einem Satz, Ihr macht der vornehmen christlichen Ritterschaft beileibe Ehre. Was bitte sind Frauenwirte?«
    Er blickte auf. Seine schwarzen Brauen furchten sich über den schwarzen, flackernden Augen, und der scheue Anflug eines Lächelns entwaffnete Amicia vollends. »Ich habe ja gesagt, ich hätte zu dir nicht davon sprechen sollen.«
    »Jetzt heraus mit der Sprache! Ich habe Stuten zum Hengst gebracht und Bruder Edmund bei der Urinschau geholfen. Ich bin nicht eben ein empfindsames Gemüt.«
    Matthew schluckte mit zuckendem Kehlkopf. »Ein Frauenwirt ist einer, der Mädchen verscherbelt wie Weinschläuche. Die meisten betreiben vor den Toren der Städte ihre Häuser, aber manche ziehen auch mit ihrer Ware durch die Gassen. Mag gehörte dazu.«
    »Und Ihr habt sie mitgenommen, um sie zu retten?«
    »Nein«, erwiderte er. »Ich habe sie mitgenommen, weil sie mir keine Wahl gelassen hat.«
    »Ich verstehe«, behauptete Amicia. »Und was hat es jetzt mit dieser Paste auf sich?«
    Er stellte den Tiegel zurück und versetzte ihm angewidert einen Stoß. »Die Mädchen bestreichen sich innerlich mit dem Zeug, weil es davor schützen soll, ein Kind zu empfangen. Aber die Hebamme hat gesagt, das tut es nicht.«
    »Was tut es dann?«
    »Es tötet Kinder, die schon empfangen worden sind«, antwortete er tonlos. »Und oft genug tötet es die Mütter mit.«
    »Wird es auch Magdalene töten?« Noch während sie die Frage aussprach, erkannte Amicia, dass sie das Mädchen ins Herz geschlossen hatte, einerlei, was es gewesen war.
    Ohne

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