Kairos (German Edition)
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Die Morgendämmerung des Invasionstages war sommerlich, der Himmel über Nordschottland von bezauberndem Rosa. Auf den Straßen rollte der Sonnabendverkehr.
Niemand ahnte etwas von der Bedrohung aus dem All; nichts wies darauf hin, wie sich das Antlitz der Erde in den nächsten vierundzwanzig Stunden verändern würde. Niemand hatte eine Vorstellung von den Tragödien dieses Tages.
Deimos umkreiste den Planeten; noch immer wußte niemand, warum. Nichts über die von Rufus Bals ins Mondinnere geführte Gesandtschaft sickerte zu den Menschen durch. Das Leben auf derErde war geprägt von nagender Unwissenheit auf der einen, und Wut und Erstaunen angesichts des Todes von Aron Berg auf der anderen Seite. Die Stimmung kannte nur Extreme wie Nihilismus und Gottvertrauen, Angst und Euphorie über Deimos’ Ankunft.
William Swan war nicht euphorisch. Aber er fühlte auch keinen Zorn. Er sorgte sich um seine Lieben, sein altes Leben, zugleich aber steckte er viel zu tief in seiner Realität, um sich irgendwelchen Fiktionen hinzugeben. William war nicht liberal genug, um seine Gedankenwelt gegenüber all den Neuerungen, die der Erstkontakt bringen würde, freudig zu öffnen, aber auch nicht konservativ oder radikal genug, um den Wunsch zu hegen, diesen Mond in seine Atome zu zerlegen. Was er wollte, war eine Aufklärung der Deimos-Mission. Irritierend, wie die Regierung Berg – jetzt Regierung Bals – versuchte, die Wahrheit zurückhalten. Bals’ Vorzeigeliberale – diese Großkopferten – verhielten sich wie eine Antifortschrittspartei. Der alte Zwist, das chronische Ringen zwischen den Fraktionen, Syndikaten und Parvenüs um Einfluß und Geltung? Doch nicht jetzt. Nicht im Namen Bergs. Was war mit dessen Weltoffenheit?
Er summte ein Marceo-Parker-Medley aus dem Autoradio mit, während er seinen Kombiwagen über Landstraßen lenkte. Zehn Meilen bis Inverness, zu Marta, Joshua und dem treuen Jack. Zehn Meilen, die er mit Betrachtungen und Reminiszenzen füllte.
Politiker waren Schwindler, Hochstapler. Ein Heer von Schreibtischhengsten arbeitete ihnen ihre Strategiepapiere zu. Immer das gleiche: erst versprachen sie alles, dann, wenn es hieß, ungemütlich zu werden, schlugen sie sich auf die Seite schneller Lösungen, wobei sie den Trick beherrschten, etwas zu sagen und etwas anderes zu meinen.
Was war die Wahrheit?
Er zermarterte sich den Kopf darüber. Wie mochten die Antworten auf Fragen nach Deimos, den Vorkommnissen in seinem Inneren und Bergs Tod lauten?
Irgend etwas stand im Begriff zu geschehen. Die Dinge verdichteten sich zu einer Agglomeration des Abnormen. Er spürte etwas heraufziehen. Seine Freunde und Bekannte fühlten es auch. So vage die aus dem inneren Trog intuitiver Wahrheiten schwappenden Hinweise waren, der Kern dessen, was er empfand, war solid.
Nicht wir kommen der Wahrheit näher – sie kommt auf uns zu.
Terroristen. Anarchisten. Wahnsinnige. Fremde Raumschiffe. Außerirdische. Ein toter Präsident und sein geheimnisumwitterter Mörder.
William Swan und seine Familie mittendrin in diesem Chaos.
Das Medley endete. Es folgte ein Stück von Johannes Balthasar Holtz, einem angesagten New-Avantgardekomponisten, der aber nicht Wills Geschmack entsprach. Hörner und Streicher. Schon der Titel:
Outer Planets
. Der Song der Stunde war Mauro Kishikawas
Dark Entcounters
. Will fluchte halblaut. Man kam nicht davon los.
Das breite Spektrum an Spekulationen war für ihn das eigentliche Problem. Denn nichts war bekannt. So lange sich das nicht änderte, kein dreiäugiger oder vielgliedriger Aliengesandte auftauchte und Rufus Bals, Xu Juncai, Alexeij Feonow oder auch Liz Camden in Washington vor die Banner, Riesenbonsais oder Kamine träten und etwas verlautbaren ließen, schadete dies maßlos extendierte Erwägen von Möglichkeiten immens. Die Kraft kursierender Gerüchte steigt mit deren Dauer. Wie eine Welle, die immer mehr Kraft aufnimmt, bis sie auf Land trifft und alles zerstört. Die Menschen als Opfer der eigenen Effekthascherei und Arglist.
Will mußte seine Familie schützen. Aber wie? Und wovor?
Was
würde in Kürze eintreten? Die Unwissenheit machte ihn rasend. Treue und Verbundenheit (Werte, denen ein anachronistischer Mann wie er eine Bedeutung gab). Er hat es seiner Frau und Joshua versprochen. Mehr als das, er hatte es geschworen. Er hatte Wort gehalten. Aber was hatte es letztlich gebracht? William dämmerte, daß er seine Lieben
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