Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
Vom Netzwerk:
mit Ihnen, auf der Stelle!‹
    Unten. Die Drahttür glitt auf. Der Lärm von Kompressoren und Generatoren. Rauch. Aus Lautsprechern drangen blecherne Stimmen in Französisch. Metall barst. Schreie. Matheson betrat eine Plattform, die eine kniehohe Drahtbarriere umgab. Ein Netz von Laufstegen ging von der Plattform ab. Schiffsmaschinisten und Mitglieder der Löschmannschaften bewegten sich wieselflink über die Stege. ›Wenn ich mich nicht täusche, befinde ich mich jetzt direkt über dem Able-Deck. Oder dem Delta-Deck, ich weiß nicht genau. Jedenfalls, vorn befindet sich der Aufgang zur ... ähm, Pilotenlounge, wie ich annehme. Und hier, ein Wirrwarr von Laufstegen, Winden, Drehkränen und Plattformen, das überwiegend von den Wartungstrupps genutzt wird, und-‹
    Das Schiff neigte sich mehr. Stahl knirschte auf Stahl. Die mächtige Strömung riß an der Konstruktion. Im Hintergrund stürzte eine Reihe gestapelter Kunststoffboxen um. Matheson verlor dasGleichgewicht. Der Kameramann auch. Die Kamera entglitt seinem Griff. Das Vorletzte, was man sah, war eine schreiende und sich an einen Handlauf klammernde Cait Matheson, deren Haare und Kleidung kokelten. Das Letzte Bild zeigte etwas Grelles heranrasen. Einen Moment später endete die Übertragung in einem sengenden Blitz.
    Ein durch Computer animiertes Hauptstadtstudio. Der junge Mann versuchte etwas zu sagen. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. Live-Ticker:
Flugzeugträger mitsamt Supportschiffen südöstlich von Syrakus von Außerirdischen versengt. Zehntausende ereilt nasser Tod.
    Marta rief: „Grundgütiger!“ Es war genug. „Ich brauche mein Bisoprolol. Wo ist mein Bisoprolol?“
    In diesem Augenblick kam William. Sein Kombiwagen schoß auf den mit weißen Kieselsteinen ausgefüllten Hof. Unter den Stahlgürtelreifen knirschende Steine ließen Marta und Joshua hochfahren. Jack bellte. Bevor Marta die Tür erreichte, kam Will hereingestürmt. Fast wäre er auf den Terrakottafliesen ausgerutscht. Er sah Marta. Die Swans fielen sich in die Arme.
    „Mein Gott, was ist los?“, schluchzte sie. „Was ist nur passiert?“
    „Ich weiß es nicht“, sagte William, um Fassung ringend, und ging durch die Diele ins Wohnzimmer. „Niemand weiß zur Stunde, was da im Gange ist. Aber man wird es herausbekommen, das ist sicher. Wo ist Josh?“ Er sah den Jungen auf der Couch. „Gott sei Dank. – Hey, Junior!“
    „Opa!“ Das verängstigte Kind kam zu ihm gelaufen. Will drückte es an sich. „Es wird alles gut“, log er.
    Marta war hinter ihm. „Was sollen wir denn jetzt tun?“
    Sie verdiente eine Antwort. Will wußte keine. Er stand auf, sah seiner Frau in die Augen. „Ich beschwöre dich, Marta, du darfst nicht die Nerven verlieren. Denk an den Jungen. Es geht um ihn, um sonst gar nichts.“
    Das war, bei Gott, wahr. In dem Moment wußte sie es. Joshua war das Blühen; Will und sie das Welken. Zwei alte Menschen aus dem schottischen Hochland – nichts gegen die Kraft des Heranwachsens, wofür Joshua stand.
Der Zukunft.
Sie mußten alles in ihrer Macht stehende tun, um dem Jungen das Überleben zu sichern. Sie hatte noch immer Angst – mehr als sonst irgendwann –, aber auch ein Ziel vor Augen.
    „Du verstehst, was ich sage, nicht wahr?“, fragte er.
    Sie nickte zur Bejahung seiner Frage. Zu ihrer Überraschung grinste er, grinste das zufriedene Grinsen eines Mannes, der es irgendwie geschafft hatte, einer aussichtslosen Situation etwas Hoffnung abzuringen. So war es nach dem Luftschiffabsturz gewesen; so war es jetzt.
    Was zu tun wäre, wußte er auch nicht. Es gab Optionen, die sich nicht recht ausloten ließen. Sie könnten bleiben, wo sie waren, sich im alten Steinhaus am Waldrand verschanzen und abwarten. Will fand, keine gute Option, geprägt von Passivität. Sie könnten ihre Sachen packen und mit dem Wagen davonfahren. Und wohin? In die Berge? Zu anderen Flüchtenden, oder fort von jeder Menschenseele? Beim Gedanken an Flucht schüttelte er den Kopf. Sie würden nicht weit kommen. Die Straßen wären schon jetzt hoffnungslos verstopft. Er hatte es gehört: ein endloser Flüchtlingstreck drängte aus den Großstädten hinauf. Flucht mochte die bessere Option sein, brachte aber nur etwas, wenn es einen Ort gab, den zu erreichen Sinn machte. Will erkannte: diesen Ort gab es nirgends auf der Erde. Aber sein Instinkt drängte zur Flucht. Noch hatten sie etwas Zeit, und William Swan war ein Mann, der wußte, wenn er das, was man ihm bot,

Weitere Kostenlose Bücher