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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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führte; Ambitionen darüber hinaus hatte er nie gehegt (auch wenn manch Brüsseler Kolumnist das anders gesehen und Bals hartnäckig und allen Dementis zum Trotz entsprechende Absichten unterstellt hatte). Berg hatte ein Talent, mit Menschen umzugehen, das ihm, Bals, nicht zueigen war. Er hatte andere Qualitäten, war geborener zweiter Mann, der verdeckt operierende Strippenzieher, mit viel Insiderwissen und guten Kontakten. Den Titel des Kronprinzen hatten ihm andere verliehen, zumeist Parteigänger des Gegenlagers, nur in dem Bestreben, Zwietracht zwischen Berg und seinem Stellvertreter zu säen.
    Er hatte das nicht gewollt, aber jetzt war es so gekommen. Stig Vorm, Oberster Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, hatten ihn via Vikom im Eilverfahren vereidigt und Bals es akzeptiert. Er war jetzt Präsident, Paul Blaskowitz sein Stellvertreter. Und Bals merkte bereits, wie ihn die Bürde des Amtes veränderte. Monterreys Ausschluß mochte erster Ausdruck dessen sein, wie unwohl Bals auf Bergs Stuhl war. Er hatte wie ein Autokrat gehandelt. Aber die Realität befahl es ihm. Er stand den Skulls machtlos gegenüber. Er trauerte auch. Er mußte den Laden zusammenhalten. Und es gab keinen Anspruch auf Vorschußlorbeeren, kein Probieren, keine Testphase. Alles mußte sofort entschieden werden.
    Aber entsprach das Bals’ Maxime?
    Er war mitsamt Berg die Sperrspitze der Neuen Europäischen Liberalen gewesen, und nichts hatte ihn mehr in Aufruhr versetzt, als repressive Ansätze im Gewirr der Paragraphen. Ihm war eine zweite Staatsexekutive neben der Gerichtsbarkeit stets zuwider gewesen. 2032 – Berg war noch nicht Präsident, im Zug des ›Wiener Kontraktes‹ ging der ESB aus der Vernetzung aller großen europäischen Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden als neuer zentraler Unions-Nachrichtendienst hervor – hatte Bals als einfacher Abgeordneter im Den Haager Regionalparlament mit seiner Initiative daran gewirkt, daß diese neue Superbehörde per einstimmigem Dekret stets dem Unionsparlament gegenüber, dem Volk Rechenschaft schuldig wäre. Ein Erfolg, wie er glaubte, denn er wollte keine Geheimpolizei, keinen neuen KGB oder ein europäisches CIA. Jetzt, angesichts seiner Verfehlungen betreffs eines Transparenz vorlebenden Unionsvorsitzes, erschien es als blanker Hohn dessen, wofür er einst eingetreten war.
    Er war ein Verhüller von Tatsachen, ein Heuchler, soviel stand fest.
    Ein Lügner? Bals hatte Bergs Entscheidung, der Bevölkerung von den Shumgona nichts zu sagen, nicht gutgeheißen, aber mitgetragen. Mit fragwürdigem Erfolg: der Überfall der Skulls war absolut überraschend gekommen, das Vertrauen in die Führung dahin und diese paar Tage der scheinbaren Ruhe hatten nicht geholfen, das Unheil irgendwie abzumildern. Bals hatte sich von Berg breitschlagen lassen. Oder, besser: Er hatte aus Loyalität zum Amt die Wahrheit nicht sehen wollen. Das setzte ihm zu. Letztlich war er zu schwach gewesen. Er trug genauso Schuld wie Berg.
    Etwas anderes wog noch schwerer: Aron Berg hatte Erkenntnissen nach davorgestanden, seine Unterschrift unter einen geheimen Schriftsatz zu setzen, der, den präsidialen Codebefehl voraussetzend, die Atomarsenale Frankreichs, Großbritanniens und Israels für einen Schlag gegen den Feind freigab.
    Bei allen Unabwägbarkeiten dieses Tages, das hatte Rufus Bals als letztes erwartete, das ein für pazifistischen Liberalismus und Fordern einer neuen globalen Abrüstungsrunde gerühmter Aron Berg eines Tages nur in die Nähe einer solchen Entscheidung kommen würde. Mehr noch: Präsident Berg hatte diese Entscheidung gefällt. Es fehlte nur sein Okay. Bals hatte davon nichts gewußt.
    Ich denke, jemand von Ihnen spielt Schach?
    Bergs Worte. Auch da tappte er im Dunkeln.
    Es ist so: Schach ... Was tun, wenn der eigene König bedroht und wehrlos ist? – Um zu gewinnen, muß er alles riskieren.
    Schach kennt viele Strategien. Bals war ein besserer Spieler als Berg gewesen. Er wußte, daß wenn man in Schach gerät, alle Vorsicht dem eigenen König gelten muß. Es gibt keine Alternativen, entweder, man zieht den König zurück oder besiegt den Widersacher. Bergs Worte galten Letzterem. Bals hätte die erste Option gewählt, seinen König abgezogen und gewartet, was der Gegenspieler tat. Bei allen Partien zwischen Bals und Berg hatte Letzterer im Fall von Schach seinen König geschützt.
In der größten Partie aller Zeiten spricht er sich für den Angriff aus. Oder, nein,

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