Kairos (German Edition)
Vielleicht Lateinamerika, mutmaßte Corey schon halb wie im Delirium und dachte:
Etwa ein Pygmäe? Nein, die sehen anders aus. Oder? Nazma würde mich auslachen wegen meiner Unwissenheit.
Der kleine Mann trug Bluejeans und ein verwaschenes Shirt, beides offensichtlich ein paar Nummern zu groß. Keine Schuhe oder Socken. Der Kerl erreichte sie und half dem Bärtigen und der Asiatin, Corey vom Boden aufzuheben. Die Männer legten sich Coreys Arme um die Schultern, während die Frau seine Beine trug. Corey bekam mit, daß er weggetragen wurde. Ihm war, auch wenn er Qualen litt, federleicht zumute.
Der Roverjeep machte Tempo. Das Durchbrechen der Hangarwand hatte ihm nur kurz den Schwung genommen, ihm dabeiTeile seiner Scheinwerferbatterie am Kühlergrill genommen und etliche Beulen beschert; jetzt gab Doria wieder volle Kraft auf die kerosinbetriebenen Turbinen. Das tonnenschwere Gefährt beschleunigte und hielt mit einer scheinbar durch nichts zu mindernden, antiquierten stählernen Unbeugsamkeit auf die auseinanderspritzenden Skulls zu. Die hatten zwar nicht mit Derartigem gerechnet. Aber das machte über den ersten Moment der Irritation hinaus keinen Unterschied. Die Ausgangssituation blieb bestehen: Der Erdenmensch war der Todfeind. Der Todfeind war schwach. Es galt, die Schwachen zu unterwerfen. Und das Ganze mit Amüsement. So verhieß es ihre Quelle aller Kraft.
Mary-Doria Patrick kannte keine sogenannte Quelle der Kraft. Sie huldigte keinem Gott, nicht mehr. Aber klein Beigeben war ihre Sache nicht; war es noch nie gewesen. Was sie in- und auswendig kannte und mit schlafwandlerischer Sicherheit handhaben konnte, waren ihre Wut und ihr Haß. Sie schienen so grenzenlos wie jenes Universum, das aus einem seiner Urschlünde diese Teufelsbrut von Skull-Zivilisation geboren hatte. Ihre Wut war mindestens so groß, wie das Streben der Dreiaugen, auf der Erde ihre Operation Großer Kehraus voranzutreiben. Doria hatte viele Trümpfe. Einer davon war, daß sie kein Problem damit hatte zu sterben. Schon oft hatte sie es sich aus tiefstem Herzen gewünscht. Einzig, es war nicht eingetreten. Vermutlich war sie zu feige. Vielleicht aber auch, weil erst der heutige Tag kommen mußte. Weil das Hier und Jetzt alles war, worauf ...
Nein
. Sie verwarf den Gedanken. Sie glaubte nicht daran. Da draußen war nichts. Es gab kein Höheres Gesetz, nach dem sich die Dinge und Laufbahnen des Lebens vollzogen. Kein göttliches Muster, keinen Plan. Erst recht kein eigenes, an eine Gerechtigkeit gebundenes Epos. Keinen Gott. Es gab Schmerz und überdies die Gewißheit, daß alte Irrtümer niemals zu korrigieren waren, was man auch tat. Vor dieser Gewißheit waren alle gleich.
(Keinen Gott?)
Drauf gepfiffen, hörst du, Stimme?
Doria vergewisserte sich, daß die Verkeilung des Geschwindigkeitsreglers hielt und schob den Kopf aus der seitlichen Einstiegsluke, kam sich vor wie eine Actionheldin in einem zerbeulten Schrottauto, ein Bild aus einer abgewickelten Vergangenheit. Fahrtwind pfiff ihr um den Kopf. Der gepanzerte Jeep rumpelte in wilder Fahrt über die Betonpiste des Hangarvorfeldes in Richtung Zufahrtsstraße.
Zuerst waren die Skulls vom Auftauchen des Jeeps überrascht. Dann lösten sie sich kollektiv aus ihrer Starre, rissen wie ein Mann ihre Waffenarme hoch und schossen sich auf das mit hohem Tempo auf sie zuhaltende Vehikel ein. Schon die ersten Schüsse trafen, Doria hatte mit nichts anderem gerechnet. Grelle Energieladungen schmetterten auf das militärgrün lackierte Schwermetall der Fahrzeugfront. Funkenstiebend prallten die Geschosse nach allen Seiten ab, hinterließen Sengspuren und brachten die getroffenen Stellen zum Glühen. Flüssiger Stahl spritzte. Dann war die Außenhülle durchdrungen. Daß es so schnell passiert war, überraschte Doria. Die Panzerung schien nicht aus gehärtetem Schmiedestahl zu bestehen, sondern aus Weißblech. Rauch quoll aus den Einschußlöchern. Weitere Treffer galten den Antriebsketten. Sie barsten, und zahlreiche Glieder schleuderten davon. Der Schützenpanzer geriet ins Schlingern und neigte sich. Doria kletterte ganz aus dem Gefährt. Einen Augenblick lang schaffte sie es, auf dessen Oberseite die Balance zu halten, ehe sie die Erschütterung des nächsten Treffers zur Seite und in der Folge vom Panzer warf. Sie fühlte sich, als hätte sie ein Wildfang abgeworfen, prallte auf den Boden, rollte sich ungelenk ab und sah dem Fahrzeug nach.
Genau wie geplant.
Der Roverjeep war nur noch
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