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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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diese lächerlichen Entführungsberichte? Diese ›Kontaktler‹?“
    „Vielleicht schauen Sie einmal zum Himmel und sagen mir dann, was Sie alles lächerlich finden“, schnappte Monterrey.
    Saintluca schaffte es irgendwie, sie völlig zu ignorieren. „Miss Sakaguchi, ich will sagen, wir sollten geltungssüchtige Spinner mit überbordender Phantasie außer acht lassen.“
    „Ich habe nur meine Meinung gesagt“, entgegnete Eiko.
    „Und ich werde hier auch niemandem seine Meinung vorwerfen“, sagte Berg. „Bitte, Doktor. Fahren Sie fort.“
    Und Eiko fuhr fort. „Nun, es gibt wirklich viele Hinweise auf Besuche Außerirdischer. Überall in den Texten der Papyri und Felstafeln finden sich...“
    Und mit jedem Wort wurde sie sicherer. Alain sah sie an, fand in ihr die enthusiastische, eigentlich energiegeladene, doch oft introvertierte Studentin, im Kerzenlicht auf seinem alten Flickenteppich kauernd, ein Glas Rotwein in der Hand, irgend etwas erörternd und dabei mit den Händen fuchtelnd. Aber das war damals,und nun war sie hier, referierte dem Präsidenten und seinem Stab.
Und mir
, dachte Alain glücklich. Er fragte sich, wie das passieren konnte, daß sie hier und jetzt einander wiedersahen.
    Eiko begann ihren Vortrag mit den zwölf Tontafeln von Kujundschik. Man hing an ihren Lippen. In Tafel drei heißt es, der Himmel brüllte, die Erde bebte und ein Gott sei vom Himmel gekommen und habe jemanden mit Namen Enkidu mit in die Lüfte genommen. Enkidu fühlt sich dabei schwer wie Blei, sein Körpergewicht sei das eines Felsens gewesen.
    „Die Trägheitskräfte und das Körperempfinden bei hoher Beschleunigung“, sagte Alain, und Czajkwoski fand das immerhin bemerkenswert.
    Die Mahabharata, ein über fünftausend Jahre alter in Sanskrit verfaßter Heldenepos schildert einen Atomkrieg. Denn Waffen werden erwähnt, die eine ganze Stadt ›mit der Hitze von eintausend Sonnen‹ zerstörten, und machten, daß den Menschen Haare und Nägel ausfielen.
    Berg stieß einen Laut des Erstaunens aus, der Alain zuversichtlich stimmte.
    Eiko richtete sich etwas auf. „Die Erde, so heißt es, taumelte im Fieber. Wälder wurden zerstört. Elefanten verbrannten bei lebendigem Leib, die Gewässer begannen zu sieden, Hunderttausende starben.“
    „Aber warum thermonukleares Feuer?“, fragte Roman Czajkwoski.
    „Die Rede ist von einem roten Staub, der sich am Tag nach der Katastrophe über alles legte. Soldaten stürzten in Panik in den nächsten Fluß, um ihre Körper und Rüstungen zu waschen.“ Sie hob ihr Kinn. „Radioaktivität.“
    Es war mehr als ein Anfang. Alain bewunderte sie für jedes ihrer Worte.
    Und Eiko erwähnte Hesekiel, einen Propheten im Alten Testament. „Eine große Wolke, umgeben von einem Strahlenkranz und Feuer. Die Insassen werden beschrieben als Wesen mit Füßen, wie die eines Kalbes, die funkelten wie blankes Erz.“
    „Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen und erschrecke nicht vor ihren Drohworten...“
    „... wenn auch Disteln und Dornen um dich herum sind und du bei Skorpionen wohnen mußt“, beendete Eiko lächelnd das von Alain aufgegriffene Hesekiel-Zitat. Für eine Japanerin nicht schlecht.
    „Ahem, Doktor; Professor...“, sagte Saintluca, ihren Kugelschreiber hebend wie in der Schule, „Ihre Bibelfestigkeit in Ehren, aber ich kenne diesen Text – eine prophetische Niederschrift, allegorische Phantasterei. Eine Metapher für die Wahrheit, sicher aber nicht die Wahrheit selbst. Eine
Vision
.“
    „Absolut“, sagte Eiko. „Eine Metapher. Biblische Themen treffen auf neuzeitliche Vorstellungen. Es gibt da also nicht zwangsläufig einen Widerspruch.“
    Saintluca erwiderte nichts.
    Monterrey fragte: „Und Sodom und Gomorrha?“
    Sie kennt sich aus,
dachte Alain.
    Eiko sagte: „Bemerkenswert sind die Engel, die Lot, sein Weib und die beiden Töchter warnen. Sie heißen sie, in die Berge zu fliehen und sich nicht umzudrehen, sowie eine gewisse Strecke zurückzulegen, ehe sie rasten können.“
    Czajkwoski sagte, den Blick auf Berg gerichtet: „Felsgestein absorbiert Strahlung. Und wer seine Augen dem Blitz ausliefert, erblindet.“
    Eiko nickte schnell. „Und als Lot dann nach einiger Zeit zur Stadt zurückschaut, sieht er Rauch aufsteigen wie aus einem Schmelzofen.“
    „Ein Atompilz“, fand Czajkwoski.
    „Ja“, sagte Eiko. „Und es gäbe so viel mehr, hätte es in der Vergangenheit nicht eine solche Vernichtung von Schriftzeugnissen gegeben.“
    Alain wußte, Eiko

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