Kairos (German Edition)
soll die Menschen schützen. Aber wenn ich das nicht kann...“ Er verstummte.
„Dann mußt du sie wenigstens warnen.“ Darauf ging er nicht ein. „Aron, ich kann dir nichts anderes sagen.“
Er schien nicht zuzuhören. „So also endet es...“
Sie verstand – absolut – seine Frustration. Berg litt jene Ängste, die alle Personen heimsuchten, die wichtige politische Ämter bekleideten. Er fürchtete, auf dem Misthaufen der Geschichte zu landen. Die Eitelkeit des Machtmenschen, selbst dann noch gut dazustehen, wenn das Jüngste Gericht kam. Wie sie ihn einschätzte, würde er sich dieses Unmaß an Koketterie niemals verzeihen. Nur ein Aspekt unter Vielen, der ihn quälte. Sie empfand Mitleid. „Du würdest nicht noch einmal Präsident werden wollen, nicht wahr?“
„Nicht mal zum Spaß, ja.“
„Denk nicht mehr daran.“ Sie stand auf, legte ihre Hände auf seine Schulter und reckte sich zu ihm. Aber er nahm ihre Hände und drückte sie sanft von sich. „Die Shumgona – sie versklaven uns und beuten uns aus. Wir sind machtlos. Letztlich werden sie alle umbringen.“
„Woher willst du das wissen?“ Sie konnte ihn nicht ansehen.
„Ich weiß es.“ Seine Stimme war verändert. „Aber darum geht es ihnen gar nicht. Es geht um etwas anderes.“
„Was?“
„Ich glaube, Galdea lügt. Ich glaube, es ist nicht so, wie sie sagt.“
Jetzt sah sie ihn an, musterte ihn befremdet. „Aber ... sie hilft uns.“
„Sie verbirgt etwas.“ Sein Tonfall wurde wieder normal. Er sah sie hilflos an.
Und sie erkannte: er hatte Angst. Jeder hatte das. Und er hatte Recht: Sie waren machtlos. Man konnte nichts tun. Sie war unabhängig von ihm zu dem Schluß gekommen: Sie konnten nichts tun.
„Aron...“, flüsterte sie.
„Ich lasse nicht zu, daß die uns langsam ausrotten. Wir sollten es selbst beenden.“
Darüber dachte sie fieberhaft nach. Und dann begriff sie.
Wenn ich sie nicht schützen kann ...
Ihr fröstelte. Seine Worte machten sie fassungslos. Darum hielt er die Wahrheit zurück. Er wollte die Invasoren vernichten.
Verfassungskonform kann der Präsident im Krisenfall jede Entscheidung treffen, die er für nötig erachtet; das Kabinett mußte nurden Notstand ausrufen, und der Präsident und sein Vize hätten innerhalb militärischer Ermächtigungsmaßnahmen die Befehlsgewalt über die Raketensilos. Nötig wäre nur der Kriegsfall, folglich nicht einmal eine Parlamentsanhörung. Die Opposition wäre dagegen völlig machtlos – wenn Berg das Kriegsrecht ausriefe und wirklich willens wäre, die Raketen zu zünden, käme dies einem Exekutivbeschluß gleich und die verfassungsmäßigen Staatsorgane wären ausgehebelt. Monterrey konnte nicht mit Gewißheit sagen, ob einige der weniger subalternen Kommissare oder Parlamentarier offen dagegen rebellieren würden.
Aber
, dachte sie resigniert,
auch das spielte dann letzten Endes keine Rolle mehr.
Und die Folgen einer solchen Entscheidung, wie Berg sie erwog, wären katastrophal: Europas Atomarsenal reichte auch nach der letzten Abrüstungsrunde aus, um den ganzen Kontinent zu verheeren. Alles würde in einem thermonuklearen Feuersturm vergehen. Die Bevölkerung wäre ausgelöscht. Mit Ausnahme der Besatzung der
Gaia
.
Sechs von fast achthundert Millionen. Von acht Milliarden.
Er könnte es wirklich tun
, dachte Monterrey bestürzt und zugleich seltsam einsichtig. Es tat weh, aber sie verstand ihn auch. Ein Teil in ihr wollte ihm ergeben zustimmen. Ein anderer schrie auf und wollte etwas sagen, lautstark protestieren. Berg plante den Genozid, zog einen schnellen Tod dem langsamen Sterben vor. Zugleich plante Berg den Ausbruch aus diesem Dilemma. Sie seufzte. Er hatte seine eigene Gleichung aufgestellt – und eine Entscheidung getroffen. Dann, selbst überrascht, nickte sie. „Du führst uns“, sagte sie. „Wir vertrauen dir. Ich tue es.“
Sie sahen sich an und umarmten dann einander stürmisch.
Plötzlich schüttelt sie wild den Kopf und zerrt ihn am Hemdkragen. ›Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder! Du wolltest immer den Frieden und haßt den Krieg!‹
...
Aber es war nur eine Vorstellung gewesen, ein Wunschtraum. In Wirklichkeit zog sie ihn zu sich und küßte ihn. Sie küßte den Mann, den sie liebte, und dennoch schmeckte es bitter.
Berg schien ihre Gefühle zu ahnen. „Julie, bitte, wir beide haben schon so viel zusammen durchgemacht...“
„Aber nichts der Landung Außerirdischer vergleichbares“, sagte sie.
„Das nicht. Aber
Weitere Kostenlose Bücher