Kaiser des Mars
nähere Mond, soll angeblich einen Durchmesser von fünfzehn Kilometern haben. Es ist einfach verrückt, zu behaupten, daß man sie nicht sehen kann!«
»Ich habe nicht gesagt, daß Sie sie überhaupt nicht sehen können. Ich habe gesagt, sie sind so klein, daß man sie nur unter besonderen Umständen sehen kann«, berichtigte ich sie. »Zum einen muß man wissen, wo man hinsehen muß. Übrigens ist Deimos der äußere Mond, nicht der nähere, und er ist der einzige, den man ohne Sehhilfe sehen kann, weil er sich langsam bewegt – er braucht zwei Tage Lokalzeit, um den Himmel zu überqueren. Das Problem ist nur, daß er eine lausige Albedo hat.«
Sie schien mir immer noch nicht ganz zu glauben. »Und was ist mit dem anderen?«
»Phobos können Sie überhaupt nicht sehen«, erklärte ich. »Obwohl er größer ist als Deimos und eine höhere Albedo hat – und sich auch sehr nahe an der Planetenoberfläche bewegt.«
»Warum kann man ihn dann nicht sehen?«
»Weil er sich zu schnell bewegt. Er umkreist den Planeten dreimal an einem Tag.«
»Aber ich begreife immer noch nicht …!«
»Sie wissen einfach nicht, wo Sie hinsehen müssen. Das ist größtenteils wieder eine Frage der Albedo. Sie müssen wissen, Mars ist viel weiter von der Sonne entfernt als die Erde, und wir bekommen daher auch nur einen Bruchteil des Lichtes ab, das die Erde bekommt. Auf der Erde ist der Vollmond strahlend hell, weil er eine Menge Licht empfängt, das er reflektieren kann. Aber hier haben die Monde nur einen winzigen Bruchteil dieses Lichtes zur Verfügung und außerdem eine niedrigere Albedo.
Aber das Hauptproblem des Phobos besteht, wie gesagt, nicht darin, daß er zu dunkel ist, sondern daß er so schnell vorbeihuscht, daß man nie genau weiß, wo man ihn am Himmel suchen muß. Man muß den Himmel von Horizont zu Horizont sorgfältig absuchen, und selbst dann muß man mächtiges Glück haben …«
Ich verstummte, als das Moos hinter mir unter schweren Schritten raschelte.
»Deine erste Lektion in der Marsologie, meine Liebe?« unterbrach Dr. Keresny liebenswürdig. »Ich bitte um Entschuldigung für die Unterbrechung, aber der Skimmer ist bepackt. Bürger Tengren, wenn Sie soweit sind, können wir abfliegen.«
4. Jenseits des Todesflusses
Der Skimmer war eng, überfüllt und heiß. So schien es mir zumindest, denn meine chirurgisch eingesetzten Energiezentren begannen bereits, sich der Temperatur nahe dem Gefrierpunkt anzupassen. Meine Begleiter andererseits zitterten trotz ihrer Thermoanzüge vor Kälte und waren froh, sich aufwärmen zu können; außerdem genossen sie es, ihre schweren Atemgeräte wieder abnehmen zu können.
Unsere Ankunftszeit war gut berechnet gewesen. Die Sonne – die von hier aus erschreckend bleich und eingeschrumpft und kalt aussah – stand im Zenit. Damit hatten wir bis zum Einbruch der Nacht einige Stunden Flugzeit zur Verfügung. Sobald es dunkel geworden war, würde es natürlich unmöglich sein, weiterzufliegen, und wir würden die Nacht über ein Lager aufschlagen müssen. Bis dahin sollten wir freilich tief in den Drylands sein.
Mit Bolgov am Steuer flogen wir nach Westen. Die ausgezackten Ränder des Kanals schrumpften hinter uns zusammen und verschwammen zu einer purpurbraunen Linie, die sich von Norden nach Süden über die ganze Welt zu erstrecken schien, und zwar mit solch perfekter Präzision, daß man hätte schwören wollen, daß sie mit einem Stift über das Staubland gezogen war. In Wirklichkeit sind die Kanäle des Mars unterbrochene Flächen niedriger, dickblättriger Sträucher und dichter Moose, die in den unter der Planetenoberfläche verlaufenden Rissen in der Kruste gedeihen, wo seit Äonen Feuchtigkeit von massivem Felsgestein festgehalten wurde.
Aus der Ferne erscheinen diese fruchtbaren Vegetationsflächen infolge optischer Effekte erstaunlich regelmäßig. Die Astronomen der Frühzeit zogen daraus den Schluß, daß es sich um riesige, künstliche Wasserwege handelte. Diese optische Illusion ist ganz leicht zu erklären: Sie brauchen sich bloß ein Foto in einer Zeitung anzusehen. Aus der Nähe betrachtet löst sich das Bild in eine Sammlung viereckiger Punkte auf, aber aus Armeslänge betrachtet, verschwimmen die Punkte ineinander und bilden graue und schwarze Flächen.
Der Skimmer dröhnte über das Staubland von West-Phaethontis, und zwar in der geringen Höhe, die die Marsveteranen als Dünenhopsen bezeichnen. Bolgov war ein mürrischer Patron, aber er
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