Kaiserkrieger 2: Der Verrat
vorwitzige Krieger davon abhielten, schon jetzt auf die marschierenden Legionäre loszustürmen. Ohne Zweifel wollte man den Römern die Chance geben, alle ihre Soldaten aus der Stadt zu verlegen, um sie dann in Wiederholung des Massakers von Adrianopel ein für allemal zu erledigen. Jeder Soldat, der innerhalb der Stadtmauern verblieb, machte die anschließende Eroberung Thessalonikis schwieriger. So übten sich die Goten in Geduld und beobachteten, wie eine fast nur halb so starke römische Streitmacht in einer scheinbar endlosen Prozession aus dem Westtor strömte und sich mit provozierender Gelassenheit vor dem feindlichen Heer positionierte. Die Arroganz, die in dem ganzen Manöver zum Ausdruck gebracht wurde, spiegelte sich in vielen Details. Auch den gotischen Beobachtern entging sicher nicht, dass Arbogast wie auch alle anderen hohen Offiziere der Aufstellung der Barbaren nicht eine Sekunde Aufmerksamkeit schenkten. Hin und wieder schienen Offiziere mitten auf dem Feld wie zu einem gemütlichen Plausch versammelt, ein Zenturio reichte einen Weinschlauch herum und scherzte mit seinen Untergebenen. All dies war Teil des Plans und es schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Die Welle der Schmähungen und Hohnrufe vonseiten der Goten wurde immer stärker, und da sie nicht erwidert wurden, sondern die Römer sich in Stellung brachten, als wollten sie zu einem Massenpicknick aufbrechen, machte es für sie nur noch schlimmer.
»Die sind scheißwütend«, kommentierte Africanus und er grinste dabei breit. Auch mit unbewaffnetem Auge war der psychologische Effekt gut zu erkennen. Der Trierarch genoss es sichtlich.
»So wollen wir es«, bestätigte Becker. »Sie sollen bis zur Weißglut gereizt sein. Wie weit sind wir?«
Einer der römischen Melder kam herbeigerannt und reichte Africanus eine Notiz. Dieser warf nur einen flüchtigen Blick darauf und nickte dann Becker zu.
»Die Aufstellung ist vollständig. Arbogast wird …«
»Er ist schon unterwegs«, unterbrach Becker den Trierarch und reichte ihm das Fernglas, das dieser mit größter Selbstverständlichkeit entgegennahm. In der Tat hatte sich Arbogast, unter einer Parlamentärsflagge und begleitet von einigen Offizieren, auf den Weg zu den Goten gemacht. Gemessen trabten die Römer auf die heulende Menge der Invasoren zu und verzogen dabei keine Miene. Es war ein riskantes Unterfangen, denn trotz des formalen Schutzes, den die Römer als Unterhändler genossen, konnte schnell einem der Angreifer der Kragen platzen. Doch Arbogast hatte diese Aufgabe ausdrücklich für sich reklamiert.
Diese bestand darin, Fritigern ausgesuchte Beleidigungen, gekleidet in feine römische Rhetorik, an den Kopf zu werfen. Unter anderem würde Arbogast ihn zur sofortigen Unterwerfung aufrufen, natürlich in entsprechendem Tonfall und mit gerümpfter Nase. Auch gewisse Andeutungen bezüglich Fritigerns Herkunft und seiner Verwandtschaft im Tierreich hatte Arbogast vorformuliert.
Fritigern, so sehr er selbst auch Vernunft und Einsicht zu zeigen bereit war, würde spätestens dann von seinen ungeduldigen Unterführern zur sofortigen Offensive gedrängt. Hoffentlich würde man Arbogast unbehelligt wieder gehen lassen.
Africanus reichte Becker das Fernglas zurück. »Er wurde durch die gotischen Reihen gelassen und wird jetzt offenbar zum Richter geführt. Es kann nicht mehr lange dauern.«
Becker nahm das Glas und schwenkte seinen Blick herum, vor allem die Türme und Mauern entlang, auf denen er seine Schützen stationiert hatte. Sie waren so gut wie nicht zu erkennen, was exakt in seiner Absicht lag. Alle würden sie gespannten Blickes auf ihre Unteroffiziere schauen, die wiederum auf das Zeichen von Geerens warteten. Und dieser stand einen Turm weiter, ebenfalls mit Fernglas und harrte des Befehls Beckers. Die Wartezeit war eine nervliche Zerreißprobe, aber auf den richtigen Zeitpunkt kam es jetzt ganz besonders an.
»Arbogast ist fertig«, murmelte Africanus. In der Tat, das wütende Gebrüll der nun sichtlich am Rande der Selbstbeherrschung stehenden Angreifer schallte die Stadtmauer hoch. Der römische Feldherr hatte seine Arbeit offenbar gemacht. Dementsprechend war der Rückweg der Delegation auch etwas hastiger, die Offiziere galoppierten und die Begleiter des Arbogast schirmten den General mit ihren Körpern so eng ab, wie sie nur konnten.
Doch kein Gote wollte den Römern die Befriedigung geben, sie als völlig ehrlos zu brandmarken. Arbogast erreichte die
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