Kaiserkrieger 2: Der Verrat
länger sie in der namenlosen Kirche und den umliegenden Gebäuden wohnten, desto größer wurde diese Empörung. Petronius stachelte dies nur noch an und er verstand es geschickt, den Zorn vor allem des ehemaligen Ersten Offiziers zu lenken. Bald hatte sich von Klasewitz selbst überzeugt, dass nur übler Verrat die Ursache für sein Scheitern gewesen sein konnte, dass seine Sache auf jeden Fall gerecht gewesen war und dass Rheinberg zu stoppen war, egal, was Gratian und seine Hofschranzen zu entscheiden beliebten. Sie waren hier von Nachrichten weitgehend abgeschnitten, nur sporadisch traf ein Bote ein und so war es umso erstaunlicher, dass eines Tages eine größere Gruppe Reiter, gehüllt in weite Umhänge, die Anlage erreichte. Petronius eilte rasch herbei und holte die deutschen Flüchtlinge hinzu, denn der unangekündigte Besuch war von hohem Rang und der wahre Zweck von einiger Bedeutung.
Als von Klasewitz und Tennberg in den Gemeinschaftsraum eines Wirtschaftsgebäudes geführt wurden, waren sie erstaunt, welch illustre Schar sich vor ihren Augen versammelt hatte. Da war der Bischof von Mailand, der Heilige Ambrosius – obgleich derzeit noch nicht in diesen exaltierten Stand versetzt –, der würdevoll am Kopfende des großen Tisches Platz genommen hatte. Er wurde von weiteren hohen kirchlichen Würdenträgern begleitet, deren Namen in von Klasewitz' Kopf verschwammen.
Dann war da eine gänzlich andere Person, ein Mann von stattlichem Körperbau, mit den Bewegungen und dem Habitus eines Militärs. Als von Klasewitz seinen Namen hörte, fiel alles an seinen Platz und er begann sofort zu verstehen, ja lächelte erfreut, als er Magnus Maximus, den römischen Militärstatthalter von Britannien, in ihrer Mitte begrüßte. Er kannte den Mann aus den historischen Schilderungen Rheinbergs. Es war der Usurpator, der in seiner eigenen Zeitlinie den Aufstand gegen Gratian wagen und dessen Generäle den jungen Kaiser, verraten von den eigenen Truppen, zur Strecke bringen würden. Maximus würde über Jahre einen Großteil Westroms – fast alles außer Italien – regieren und sich durch besondere Pietät und eifrige Orthodoxie auszeichnen, nicht zuletzt, um das Wohlgefallen des dann oströmischen Kaisers Theodosius zu erringen. Dieser jedoch würde den Usurpator nie anerkennen und ihn schließlich zur Strecke bringen, um sein Amt als letzter gesamtrömischer Kaiser anzutreten.
In einer anderen Zeit.
Das war auch einem von Klasewitz klar. Die Tatsache allein, dass der Statthalter hier mit ihm zusammentraf, anstatt in Britannien oder Gallien seinen Aufstand vorzubereiten, sprach Bände. Die historischen Ereignisse waren endgültig völlig verändert worden, die Würfel neu gefallen. Mit jedem Schritt entfernten sie sich jetzt von der Geschichte, die sie kannten. Und von Klasewitz wusste genau, was man von ihm erwartete, ehe auch nur ein Wort gesprochen worden war. Hilfe und Ratschlag, um die aufständischen Truppen, angefeuert durch die Leidenschaft wahrer Orthodoxie, gegen Gratian und seine neuen Verbündeten ins Feld zu schicken und ihnen dabei zu helfen, die überlegene Technologie der Zeitreisenden zu überwinden, oder, noch besser, selbst neue Ideen und Waffen zu erschaffen und einzusetzen.
Der Weg vor ihm war klar gezeichnet, wie von Klasewitz mit seltsamer Ruhe erkannte. Mit der gescheiterten Meuterei hatte es begonnen. Jetzt konnte er sich nicht mehr aussuchen, wer Freund oder Feind war. Und die Chance, die sich ihm hier bot, die Schmach des Scheiterns auszulöschen und als Triumphator auch auf die Saarbrücken zurückzukehren …
Der Erste Offizier bemerkte schon nicht mehr, wie er sich selbst in einem Netz von Gedanken und Gefühlen verstrickte, das ihn immer mehr von jeder Rückkehr, von jedem Pardon entfernte. Er sah sich selbst, wieder Kapitän der Saarbrücken, mit Rheinberg, an ein Kreuz genagelt wie ein minderwertiger Verbrecher. Das plötzliche, wilde Gefühl der Befriedigung, das ihn bei dieser Phantasie durchwallte, wusch jeden Zweifel endgültig davon.
»Setzen wir uns«, schlug Ambrosius vor, als die Vorstellungsrunde sowie ein einführendes Gebet absolviert worden waren. Von Klasewitz nahm erwartungsvoll Platz.
»Ich denke, dass nach den allgemeinen Einführungen kein Zweifel mehr daran besteht, was der Sinn und Zweck unseres heutigen Treffens ist«, begann der Bischof sofort mit dem Wesentlichen. »Erschreckende Dinge haben sich in den letzten Wochen und Monaten ereignet und es wurden
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