Kaiserkrieger 2: Der Verrat
Alarich hängen, der ganz offenbar spürte, dass ihm gerade die Felle wegschwammen. Der Alte spuckte zu Boden und nickte grimmig.
»Wohlan, Fritigern«, sagte er, als die erwartungsvolle Stille unangenehm zu werden begann. »Dann wollen wir diesen Berichten glauben. Was tun wir?«
Fritigern gestattete sich ein befreites Lächeln, griff zum Krug vor ihm und nahm einen tiefen Schluck Bier.
»Ich habe keinen fertigen Plan, meine Freunde«, sagte er halb entschuldigend, »aber ich habe Godegisels Nachrichten mehrfach und mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Ich habe Ideen, aber ich benötige Euren Ratschlag.«
Er breitete die Arme aus und achtete darauf, den miesepetrig dreinblickenden Alarich in die Geste mit einzubeziehen.
»Lasst es uns diskutieren!«
33
Thomas Volkert erkannte eine kraftlose Rede, wenn er sie hörte. Sein Latein war mittlerweile ebenso wie sein Griechisch auf dem Stand, dass er jedem Alltagsgespräch problemlos folgen konnte. Auch die Rede, die der Feldherr vor seinen versammelten neuen Truppen zu halten begonnen hatte, machte da keine Ausnahme, nicht zuletzt deswegen, weil die Rhetoriker des Theodosius sich bemüht hatten, sie so zu formulieren, dass auch der einfachste Bauernsohn sie zu verstehen imstande war. Das dumme Zeug, das der vielleicht zukünftige Kaiser da von sich gegeben hatte, war von so abgrundtiefer Primitivität gewesen, dass selbst die einfachen Bauernsöhne unter den Rekruten mit aufgerissenen Augen auf den uninspirierten Vortrag reagierten. Die eigenen Soldaten permanent zu unterschätzen war nichts, was einem Latinus passiert wäre.
Auf dem Marsch hierher, seit der Schlacht gegen den versprengten Haufen Barbaren, hatte Volkert begonnen, den bärbeißigen Schinder anders zu sehen und ihn mit neuem Respekt zu betrachten. Er hatte zu seiner eigenen Überraschung feststellen müssen, dass die Art der Hochachtung, die er dem Mann entgegenbrachte, ganz anders war als jeder Respekt, den er je einem deutschen Offizier oder auch dem alten Köhler gezollt hatte. Als Zenturio war Latinus nicht mehr als ein alter Hauptmann, aber vor allem war er jemand, der in einer höchst grausamen Umgebung versucht hatte, die ihm anvertrauten Männer am Leben zu erhalten und sie ihr Dienstende erleben zu lassen – denn er wusste wohl, dass die meisten nicht freiwillig Legionäre geworden waren.
Und dafür, so hatte Volkert feststellen müssen, war der Zenturio auch mehr als nur sprichwörtlich bereit, über Leichen zu gehen. Seltsamerweise war es diese neue Sicht, die in Verzweiflung ertränkte Gefühle in Volkert wieder hervorrief. Er ertappte sich bei Tagträumen, in denen er nach harten Kämpfen und als strahlender Tribun oder gar Legat nach Ravenna zurückkehrte und Senator Michellus ihm mit Freude die Hand seiner Tochter gab. Er wachte morgens, fest in seine Decken gehüllt auf und fühlte die warme Klebrigkeit eines extrem feuchten Traumes zwischen seinen Beinen, in dem die Senatorentochter, auf die er bereits jede Hoffnung aufzugeben geglaubt hatte, eine aktive und denkwürdige Rolle spielte. Er sah sich selbst aufmerksam seine Kameraden betrachten, ein Blick, der ihm durch die enge Freundschaft mit Simodes vielleicht verstellt gewesen war, und ihre Qualitäten wie auch Defizite genau zu analysieren. Er fand sich plötzlich in der Situation, wie ein Offizier zu denken.
Und als ihn sein Dekurio, frisch zugeteilt aus den Truppenteilen Westroms, die Gratian an Theodosius übergeben hatte, das erste Mal gefragt hatte, ob dieser oder jener wohl Probleme bereiten würde und wer denn wohl am besten für die zahlreichen Sonderaufgaben qualifiziert war, die meist höheren Sold und Befreiung vom Lagerdienst bedeuteten, hatte Volkert begriffen.
Er war aus seiner permanenten Bewusstlosigkeit, seinem Trott, seinem Elend, seiner emotionalen Verbitterung aufgetaucht. Er nahm die Welt wieder wahr, ließ sich nicht mehr nur treiben und hatte, bewusst oder unbewusst, den Entschluss gefasst, wieder jemand zu sein, etwas zu tun und Pläne zu machen.
Es war ohne Zweifel der Tod des Simodes, der diesen Prozess in ihm ausgelöst hatte. Das plötzliche Ende des Mannes, der ihm nur kurz zuvor das eigene Leben gerettet hatte, war ihm eine große Lehre gewesen – vor allem über den Wert des eigenen Lebens und das Geschenk, dass der Grieche ihm gegeben hatte, sowie die Schuld, die er nie würde abtragen können. Er war es nicht zuletzt dem Gefallenen schuldig, dieses Geschenk nun nicht achtlos
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