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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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der Plane über der Ladefläche, der die Straße vom Kanal heraufgefahren kam und nun im Schritttempo den Dorfplatz erreichte.
    »Meine Hochachtung, Herr Weinberg«, sagte der Detektiv, »Sie beherrschen Ihr Handwerk ausgezeichnet. Also, was haben Sie mir mitzuteilen?«
    »Oberst Diebnitz war für viele beim RMA ein Vorbild, eine lebende Legende. Die wenigen Wochen, die ich unter ihm in der Sicherheitsabteilung des Forschungsinstituts dienen durfte, haben mir viel bedeutet. Sein Tod hat mir die Augen geöffnet.«
    Der Lastwagen passierte das Festzelt, ohne dass irgendjemand ihm Beachtung geschenkt hätte.
    »Ja, ich sehe jetzt endlich klar«, bekräftigte der Hauptmann abermals. »Reichlich spät, aber besser als nie. Ich werde Ihnen verraten, was die Puppenspieler planen. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Freunde bei den Schatten es schnellstens erfahren. Die Zeit drängt.«
    Es fiel Prieß zunehmend schwerer, seine Orientierungslosigkeit nicht zu zeigen. Er nickte mit todernster Miene, verstand aber kaum etwas von dem, was er sich anhören musste.
    »Und nun passen Sie bitte genau auf«, fuhr Hauptmann Weinberg fort. »Am Mittwochabend um elf treffen sich im Gutshaus auf dem Gelände des Instituts die üblen –«
    Er brach mitten im Satz ab und riss den Kopf herum, als hätte er aus dem Augenwinkel etwas bemerkt. Instinktiv schaute Prieß in die gleiche Richtung, sah aber nur einen schäbigen Lastwagen mit schmutziger Plane, der gerade in der Mitte des Dorfplatzes zum Stehen kam.
    Dem Hauptmann entfuhr ein gepresstes heiseres Keuchen. Nur für einen verschwindend kurzen Moment fragte Prieß sich, was ihn so erschreckt haben mochte. Dann brachen die Ereignisse wie eine Lawine über ihn herein, überrollten ihn und ließen jedes bewusste Denken schlagartig ersterben.
    Die Plane des Lastwagens wurde zurückgeschlagen. Auf der Ladefläche standen sechs Männer. Sie trugen dunkle Skimasken mit schmalen Schlitzen für Augen und Mund, die an schwarze Totenköpfe erinnerten. Und sie hielten Maschinenpistolen im Anschlag.
    »Frihed for Jytland!«, schrie einer von ihnen. Dann begannen sie, um sich zu schießen. Wahllos feuerten sie auf die umstehenden Menschen, die nicht wussten, wie ihnen geschah.
    Eines der Mädchen mit den Girlanden wollte wegrennen. Sie stolperte und fiel zu Boden. Das war ihr Glück, weil nun die Kugeln über sie hinweggingen. Ihre Freundin lief kreischend einige Meter. Dann wurde sie von einer Geschossgarbe zerfetzt.
    Einem der Männer bei der Tanzfläche fuhr ein Feuerstoß in die Beine. Er brach sofort zusammen, und noch bevor sein Körper auf die groben Dielen schlug, zerriss eine weitere Salve seinen Brustkorb. Das rasende metallische Bellen der Waffen übertönte die grellen Angstschreie.
    Prieß war unfähig, zu denken oder sich zu bewegen. Sein Geist und sein Körper waren paralysiert. Seine Augen nahmen das blutige Inferno auf, doch sein Gehirn weigerte sich, es als Realität zu akzeptieren. Die Sekunden dauernde Orgie des Horrors verwandelte sich in eine wie in Zeitlupe ablaufende Folge unwirklicher, grässlicher Einzelbilder. Die von Schrecken entstellten Gesichter der in Panik Flüchtenden, die sich im Gras krümmenden Verletzten, alles schien weit weg zu sein, irgendwo hinter einem Nebelschleier.
    Dann aber sah er, wie durch ein Vergrößerungsglas hervorgehoben, dass einer der Männer auf dem Lastwagen eine Pistole mit übermäßig langem Lauf hob, anlegte und zielte. Klar und deutlich konnte Prieß erkennen, wie sich die Mündung der Waffe genau auf ihn richtete.
    Der Hauptmann drehte sich zu ihm herum. Sein Gesicht war weiß und verzerrt, wie eine bizarre Clownsmaske. In den weit aufgerissenen Augen spiegelte sich nackte Todesangst. Dieses Bild brannte sich augenblicklich wie eine Momentaufnahme in Prieß’ Gedächtnis ein.
    Ein einzelner Schuss peitschte und hob sich vom wütenden Rattern der Maschinenpistolen ab. Der Schädel des Hauptmanns zerplatzte keine dreißig Zentimeter von Prieß entfernt. Ein dunkler, warmer Schwall, ein Brei aus Blut, Hirnmasse und Knochensplittern, schlug ihm ins Gesicht und verklebte seine Augen. Er sah nichts mehr. Weinbergs lebloser Körper blieb für den Bruchteil einer Sekunde aufrecht stehen; dann wankte er und kippte gegen den blinden Prieß. Friedrich strauchelte und fiel rückwärts. Noch im Fallen hörte er einen zweiten Pistolenschuss. Er fühlte einen scharfen Schmerz durch seinen Kopf fahren.
    Prieß sackte schwer zu Boden, und mit ihm der tote

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