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Kaktus zum Valentinstag

Kaktus zum Valentinstag

Titel: Kaktus zum Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Schmidt
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empfinde, weil ich erstmalig im Süden Afrikas Straßen und Gegenden sammeln kann, ist Martina immer wieder mit ihren Gedanken woanders. Nämlich zu Hause. Dort wohnt Oma Anita, die Mutter der Mau, bei unserem mittlerweile neun Monate jungen Sohn, während wir unterwegs sind.
    Die Mau hat Raphael gestillt. Und ursprünglich sollte er mit auf Reisen gehen, aber die Mau hat ihn dann doch lieber abgestöpselt. Jetzt bekommt er von Oma Anita die Flasche. Kaum eine Stunde vergeht, in der sie mich nicht daran erinnert, wie sehr sie es bedauert, dass Raphael nicht bei uns ist. Irgendwie scheint sie nicht ganz bei der Sache in Namibia zu sein. Schade. Diesmal erlebe ich nicht, dass geteilte Freude doppelte Freude ist.
    Seitdem ich die körperliche Unabhängigkeit von der Locken erhielt, das war am 3. Januar 1966, einem azurblauen Tag, hat die Erde mittlerweile dreißig Runden um die Sonne vollendet. Heute, zu meinem dreißigsten Geburtstag, erhalte ich von meiner Dienststelle eine Karte. Auf ihr ist eine zerlegte Kugel abgebildet, die das Innere der Erde darstellend preisgeben soll. Aus der so zerhackten symbolischen grauen Erde, die als Plastik auf dem Innenhof des Gebäudekomplexes meines Arbeitgebers steht, sprießt auf der Karte frisches Grün. Darunter steht: »Das Wissen über die Innenstruktur allein reicht nicht aus, um das Leben auf der Erde zu gestalten.«
    Als ich diese Karte so in meinen Händen halte, frage ich mich, ob meine Kollegen diese Karte gerade für mich ausgewählt haben oder ob jeder so eine bekommt? Wie auch immer, ich fühle mich persönlich angesprochen. Denn es ist möglicherweise wieder einmal so ein Hinweis darauf, dass die Gestaltung des zwischenmenschlichen Lebens auf der Erde Vorfahrt vor allen genialen Fachkenntnissen und Ideen hat und haben wird.
    Und dass die für diese Gestaltung genutzte Sprache der ungeschriebenen Gesetze für mich weiterhin nicht unmittelbar erschließbar ist, wie das offensichtlich für alle anderen um mich herum der Fall ist. Das Berufsleben bleibt für mich ein unauflösbar verknoteter Schnürsenkel.
    Vor Ablauf der Befristung meiner ersten Stelle hängt am internen Schwarzen Brett eine Ausschreibung für eine Tätigkeit in Papua-Neuguinea. Ich bekunde mein Interesse. Ich komme auf die Liste der Interessenten, ich möge mir aber nicht allzu viel Hoffnung machen, sagt man mir. Doch einige Wochen später kontaktiert man mich, weil niemand anderes bereit sei oder sich traue. »Take your chance!«, sage ich mir.
    So fliege ich am 1. September 1996, einem blassorangen Tag, nach Port Moresby. Zur Arbeit in der Südsee. In der Hitze. Unter Palmen. Im Dschungel. In einem kleinen, ärmlich eingerichteten Büro des staatlichen geophysikalischen Dienstes von Papua-Neuguinea. Dort bin ich Alien per Pass!
    Man nimmt mich so, wie ich bin. Ich bin Berater für das Erstellen von Datenmodellen. Die Arbeit macht mir Spaß. Aber abends bin ich allein. Denn die Mau und mein Sohn Raphael sind zu Hause geblieben. So wie damals bei den Forschungsfahrten bin ich wieder allein und einsam.
    Erst jetzt fällt mir auf, was ich in den letzten Jahren gehabt habe. Aber ich hatte wohl leider keine Energie mehr übrig, um es auch wahrzunehmen. Ich beschließe, mein Gnubbelchen und meinen kleinen Sohn, der nun fast zwei Jahre alt ist, hierher nachzuholen. Und suche mir dafür statt des Zimmers im Luxushotel eine möblierte Wohnung für Expatriates, wie die Ausländer hier heißen.
    Die Wohnung liegt herrlich. Allabendlich springe ich in den Pool der Anlage. Wenn ich aus dem Fenster schaue, schweift mein Blick indie Weite auf die Owen Stanley Ranges, dem verdschungelten Hochland von Papua. Oft brauen sich darüber tolle Gewitterwolken zusammen, die viele Abende mit einem fern grummelnden Blitzlichtgewitter enden lassen. Es ist ein Teil der innertropischen Konvergenz, ein Begriff aus dem Erdkundeunterricht. So sieht sie aus!
    Im Rahmen meiner Tätigkeit lerne ich auch einen Computerladen kennen, der ein interessantes Bild am Eingangsportal angebracht hat. Ein großer blauer Fluss, auf der einen Seite arbeiten die Menschen in modernen Büros, auf der anderen Seite gehen sie ihrer traditionellen Lebensweise im Dschungel nach. Da wird mir eine Komponente meiner Aufgabe klar: Ich bin hier, um eine weitere Brücke über diesen Fluss zu bauen. Es ist etwas, das ich kann. Weil ich eigentlich beide Welten, die ich verbinden soll, nicht verstehe, nicht wirklich kenne. Ich bin losgelöst von aller

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