Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
identische Gesichter. Aber nur ein Körper.
Jack bemerkte, dass er schon wieder gaffte.
»Jacques und Marcel du Bois«, stellte der Dominantere der beiden seinen liebenswürdigen Zwilling vor.
Es sah aus, als wären sie in Brusthöhe Seite an Seite zusammengewachsen, eine Franzmannversion von Chang und Eng. Nicht mehr ganz jung, die beiden. Jack schätzte sie auf über vierzig, aber so genau konnte man es unmöglich sagen.
Für dieses Klima war ihre Kleidung geradezu absurd. Zwei steife Kragen über einem umgearbeiteten schwarzen Wollanzug. Auf zwei Schalkrawatten funkelten Brillanten. Jack hielt es für gewöhnlichen Strass. Offensichtlich teilten sie sich zwei Arme und zwei Beine. Jack fragte sich, was sie sich wohl sonst noch teilten.
Er nickte höflich. »Jack Romaine.«
Zwei Köpfe verneigten sich gleichzeitig.
»Das ist vielleicht ein Paar!« Tommy grinste von seiner Kiste herüber. »Auch noch Musiker, alle beide. Geige. Sie wechseln sich mit dem Bogen ab. Die siamesischen Svengalis. Die sind klasse. Das Problem ist nur, ich weiß nie, soll ich ihnen ein Einzel- oder Doppelzimmer berechnen?«
Der kleine Mann fing an zu gackern und schlug sich auf sein krummes Bein. Er lachte aus vollem Zwergenhals.
»Schön, dass du dich über deinen eigenen Witz amüsieren kannst, Speck.«
Aber der kleine Mann ließ sich nicht beirren. »Einzel- oder Doppelzimmer! Das ist wirklich gut. Das muss ich in meiner Vorstellung unterbringen.«
Tommy schlurfte hinüber zur Zigarrenkiste, die wohl als Kasse diente.
»Einen halben Dollar«, informierte er sie.
Marcel sah nervös seinen Zwillingsbruder an.
»(Aber wir können nicht bezahlen!)« Diese Klage murmelte er en français .
»(Haben wir kein Geld?)«
»(Du bist krank, Bruder. Wir brauchen ein Zimmer.)«
»(Also was sollen wir ihm erzählen?)«
»Ihr zwei könnt später rumalbern«, knurrte Speck. »Jetzt will ich erst mal einen halben Dollar für die Übernachtung sehen.«
Die Zwillinge blieben die Antwort darauf schuldig.
»Fünfzig Cent?« versuchte es Tommy erneut. »Einen halben Washington? Könnt ihr Typen denn nicht parleh wuh unsere Sprache?«
»Ich übernehme das«, meldete sich Jack. »Mach zwei Nächte draus. Für sie und für mich.«
Jacques und Marcel sahen verdutzt auf.
» Parlez-vous français, Monsieur? «
»(Meine Frau war Französin. Sie hat mir ein bisschen beigebracht. Und meine Schwiegermutter kommt aus der Normandie …)«
»(Sie Armer!)«
»(… Sie hat mir eine Menge beigebracht.)«
Das Lachen der Zwillinge war hell wie Starengesang.
Tommy sah mürrisch drein. »Zieht ihr Dreckskerle etwa über mich her?«
»(Nein, … wir machen uns nicht über Sie lustig, Monsieur.)«
Tommy wandte sich an Jack.
»Wir haben nicht über dich gelacht, kleiner Mann.«
»Das will ich auch hoffen.« Speck nahm Jacks Geld. »Und wenn du mich noch mal klein nennst, schläfst du im Scheißhaus.«
Jacques und Marcel nahmen dankbar ihren Schlüssel entgegen. »Wir haben gehört, dies sei ein Rückzugsort für Artisten.« Jacques verbeugte sich vor Jack.
»Ehrlich? Wo habt ihr das denn gehört?«
»Monsieur ist zu bescheiden«, sagte Marcel errötend.
Es war seltsam zu sehen, wie das eine Gesicht rot wurde, während das andere auf denselben Schultern beherrscht blieb.
»Wir haben gehört, ein Wohltäter wohne an diesem Ort.« Jacques sprach für seinen Bruder weiter. »Aber wir hatten nicht so bald mit solcher Großzügigkeit gerechnet. Merci. Merci beaucoup .«
»Gern geschehen.«
Jack ging zur Seite, als die Zwillinge jeder eine Tasche nahmen und im Krebsgang Tommy Specks Miniaturbüro verließen. Die sahen aus wie zwei Chaplins, diese Zwillinge, als sie so in den Regen hinauswatschelten.
Jack klopfte eine Chesterfield aus einer Packung.
»Was haben die da von einem Wohltäter erzählt?«
»Keine Ahnung.« Speck beschäftigte sich mit seinem Schlüsselbrett.
»Die schienen aber ziemlich sicher zu sein, dass ihnen hier jemand helfen würde.«
»Wenn man lange genug auf Jahrmärkten arbeitet, findet man immer irgendwo einen Trottel. Hier …«
Speck warf Jack ein Handtuch zu.
»Eins pro Zimmer. Wenn dir die Bettlaken nicht zusagen, kannst du sie selber waschen. Unter dem Bett steht ein Nachttopf, falls du den mal brauchst. Der Bello ist draußen weiter hinten.«
»Kann ich mich irgendwo waschen?«
»Es regnet doch, oder? Du kannst auch die Viehtränke benutzen.«
Romaine verbrachte die restliche Nacht in Unterhose auf einem Feldbett,
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