Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)

stützende Hand auf seinem Rücken zu spüren.
    »Also, Jack, jetzt weißt du, wie wir leben.«
    Jack löschte seine Fackel in dem Wasserbecken und ging ohne fremde Hilfe davon. Er war noch keine zwanzig Meter weit gegangen, als Tommy Speck aus der Bude der Schlangenfrau geeilt kam.
    »Jack? Verdammt noch mal, wo hast du gesteckt? Schnapp dir eine Schaufel. Aber dalli!«
    Mit dem Abend kam auch das ewige Potpourri von Hotdogs und Zuckerwatte. Alle Buden, Zelte und Stände waren in Primärfarben drapiert, grell gestrichen und mit gleißenden Lichtern beleuchtet. Die Anreißer versuchten, mit ihrem Grölen das Rattern der Karussells zu übertönen, und die johlenden Bauern warfen mit Geld nur so um sich. Das Taumler-Karussell drehte sich langsam im Licht des Herbstmonds und der funkelnden Milchstraße des Jahrmarkts. Jack hatte wieder seine Rolle als Arbeiter angenommen und folgte Tommy Speck von einer niederen Tätigkeit zur nächsten. Gerade hatte er einen Stand repariert, als Tommy ihn zum Herzstück des Rummels hetzte. Auf einem Werbeplakat wurden grausige Dinge in grellen Farben detailgetreu dargestellt:
    Das Kabinett menschlicher Kuriositäten
    Die Leutchen, die Jack aus der Kantine kannte, diese derben Männer und Frauen, die vor ihren Last- und Wohnwagen Hufeisenwarfen oder im Spielzelt schwatzten, hatten sich mithilfe von Farbe, Wachstuch und Kostümen in Wesen einer fremden, verstörenden Welt verwandelt. Als »Prinzessin Monica, die Frau ohne Unterleib aus Saint Albans« sah Half Track oberhalb der Taille wahrhaft exotisch aus.
    Ein Anreißer, den Jack nicht kannte, lockte die Einheimischen zur Bühne, wo Marcel und Jacques mit vereinten Händen und Häuptern Cello spielten.
    »SPEZIELL für Sie aus dem Louvre … von der Somme … aus den Straßen von PARIEH … ein unglaaaaaubliches Spek-tah-kell! Siamesische Zwillinge! An der Brust ZUSAMMENGEWACHSEN und mit unglaublichem musikalischem Talent GESEGNET! Diese erstaunlichen Kreaturen sind DIE BESTEN MUSIKER DER WELT!«
    Über das Gegröle von Marktschreiern und Bauern und das ferne Pfeifen einer Dampforgel erhoben sich lieblich und klar wie Kindertränen die Klänge der Ode an die Freude .
    »Komm schon«, herrschte ihn Tommy an. »Hast du noch nie eine Fiedel gehört?«
    Nur wenige Schritte von den Svengali-Zwillingen entfernt wurde eine Attraktion ganz anderer Art dargeboten.
    sehen sie die inkuben! erstarrtes leben!
    An die zwei Dutzend Föten schwebten wie Elfen in Gläsern mit Formaldehyd.
    »Eingemachte Gören nennen wir die.« Tommy beachtete sie kaum.
    Jacks Magen rebellierte.
    »Brauchst du einen Einlauf?«
    »Du bist ein Arschloch, Tommy.«
    Der kleine Mann lachte nur.
    Die rechte Seite des Platzes gehörte den Artisten, die linke den Freaks. Jack sah Blade bei der Arbeit, der ein Schwert so lang wie eine Angel schluckte. Jack stellte fest, dass er seit seiner eigenen kürzlichen Einweihung Kühnheit und Kunstfertigkeit des jungen Manns weit mehr zu schätzen wusste.
    Gegenüber wurden die stets beliebten Striptease-Tänzerinnen angepriesen. »Luna tritt auch manchmal auf«, bemerkte Tommy beiläufig.
    Aber nicht an diesem Abend, wie Jack feststellte. Heute konnten die Eingeborenen Cassandra bei der Arbeit bewundern.
    Tommy wollte unbedingt Flambés Nummer sehen.
    »Er hat was ganz Besonderes einstudiert.«
    Das stimmte allerdings. Der Große Flambé kombinierte in seiner Nummer seine beiden Talente. Er bezwang den Elefanten und das Feuer. Jack und Tommy sahen zu, wie der Veteran auf Ambassadors Stoßzähnen herbeigeritten kam und sich von einer mit Wimpeln verzierten Tonne eine Dose Benzin griff.
    »Aaaah!«, ging es erwartungsvoll durch die Menge.
    Als Nächstes kamen die Fackeln. Zwei Säulen.
    »HOCH«, befahl Flambé, worauf die Stoßzähne ihn fast vier Meter in die Luft hoben.
    Jack beobachtete, wie Flambé auf seinem Elfenbeinpodest balancierte, seinen Mund mit Benzin füllte und, ohne zu zögern, eine brennende Fackel schluckte. Von seiner erhöhten Position aus spie er Feuer auf eine sechs Meter entfernte Pappmascheeburg.
    Die Menge toste in erstaunter Begeisterung und Jack ebenso. Dieser Schweinepriester kam beim Publikum gut an, daran bestand kein Zweifel.
    Die Pinguinfrau zog ihre Nummer in einer Freakshow ein bisschen weiter hinten ab. Jack hatte Charlotte immer nur in ganz normaler, anständiger Kleidung gesehen, aber jetzt lag sie da, mit offenem Haar und fast nackt auf einer Eisbergkulisse ausgestreckt und umwabert vom Dampf des