Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
Trockeneises, das in der tropischen Hitze Kälte vorspiegeln sollte.
Mit ihren Schwimmhauthänden hätschelte Charlotte eine mit Stiefelwichse geschwärzte Holzfigur, die einen Pinguin darstellen sollte. Während die Kunden vor ihrer Bude auf- und abflanierten, spulte sie mit delphischer Gleichmut ihr Szenarium ab.
»… Was für Kreaturen sind das, mein Kleiner?« Die Pinguinfrau betrachtete die Einheimischen, als wären sie die zur Schau Gestellten.
»Wer sind diese Myrmidonen, die uns so anstarren, während wir uns zur Ruhe begeben wollen?«
Die Figur antwortete in Charlottes Bauchrednerstimme.
»Dies sind die wunderbarsten und zugleich schrecklichsten aller Wesen, Herrin. Man nennt sie … Menschen.«
Dann ein wenig nervöses Zittern beim plötzlich stillen Publikum.
»Sag ihnen, sie sollen vorsichtig sein.« Die Pinguinfrau räkelte sich lasziv. »Was sie suchen, ist vielleicht nicht das, was sie wirklich brauuuchen …«
Ein Stück weiter stand zu aller Erstaunen eine kopflose Frau von ihrem Stuhl auf. Ihr Anreißer brachte die Bauern so richtig in Fahrt …
»… KOPFLOS von Geburt an! Die KOPFLOSE FAYE wird NUR mit einer speziellen FLÜSSIGNAHRUNG am Leben gehalten, entwickelt von Dr. Anaximander Albatross Ethelreld, Dr. phil., Dr. med., Dr. jur. und Medium, das mit dem JENSEITS kommuniziert!«
Aus einer Spirale von Schläuchen sprudelten Flüssigkeiten in den offenen Hals. Jack beugte sich zu Tommys Ohr hinunter.
»Ist die echt?«
Tommy kicherte. »Mein Gott, Jack, du bist wirklich ein Bauerntölpel!«
Und so ging es weiter. Eine Truppe, als die »wahren Wilden Männer von Borneo« vorgestellt, warf Bananen in die Menge. Anscheinend gab es mindestens ein Dutzend Negergruppen, die behaupteten, die letzten menschenfressenden Eingeborenen dieses nicht klar definierten Fleckens Erde zu sein. Jack sah aber auch richtige Artisten wie Pinhead, der Nägel in seine Nasenlöcher stieß. Der Mann ohne Arme, den er zuerst in Lunas Café gesehen hatte, brachte die Bauern zum Toben, als er jemanden aus dem Publikum holte und nur mit seinen Zehen dessen Schnürsenkel auf- und wieder zuschnürte. Dann nahm er dem Bauer auch noch den Schlips ab und knotete ihn neu!
Zwei Zwerge, Freunde von Tommy, ließen sich für einen Kreis ungläubiger Bewunderer wiegen und kamen auf ein Gesamt gewicht von:
»Neunundsechzig Kilogramm und neunhundert Gramm!«
Im krassen Gegensatz dazu Prinzessin Peewee.
An Peewees erhöhtem Stand hielt Tommy ihn plötzlich an. Oberhalb der Menge saß die Fette Frau ganz unköniglich mit gespreizten Beinen da. Ein locker sitzendes Hemdkleid gewährte freie Sicht auf all ihre Fettfalten. Sie trug keine Unterwäsche, wie Jack auffiel, und ihm fiel auch auf, dass es sie nicht zu kümmern schien.
ZWEIHUNDERTSIEBENUNDNEUNZIG KILO … Die Waage war manipuliert worden, um ein höheres Gewicht anzuzeigen, aber nicht viel höher. Jack konnte sehen, dass die Prinzessin die gigantischste Attraktion einer jeden Freakshow sein würde, denn an die hundert Einheimische drängten sich, um einen Blick auf sie zu erheischen. Und sie wusste auch deren diverse Bedürfnisse zu bedienen und ließ ihre riesigen Brüste hin- und herwiegen, während sie sich mit einer unechten Straußenfeder Luft zufächelte.
»Sag mal, Peewee!«, grölte ein Bursche aus der Menge. »Würdest du mich HEIRATEN?«
»Kommt drauf an, ob du GROSS genug gebaut bist«, konterte Peewee und die Bauern brüllten vor Lachen. Dollarscheine schwebten wie Pollen in einen Bottich unterhalb von Peewees schlichtem Thron. Münzen flogen auf die Bühne.
»Schau dir die Leute an«, sagte Tommy stolz. »Die sind ganz verrückt nach ihr.«
Peewee jedoch beachtete ihre Bewunderer überhaupt nicht. Sie hatte nicht einmal ein Nicken für die Männer und Jungen übrig, die ihren Bottich mit Scheinen und Silber füllten. Jetzt, da sie sie am Haken hatte, täuschte sie Gleichgültigkeit vor. Die goldenen Locken waren flach an ihren Kopf gepresst. Sie wirkte königlich distanziert und stand buchstäblich über den Dingen.
Jack deutete mit dem Kopf auf den halbvollen Bottich.
»Soll ich das Geld wegbringen?«
»Heute Abend nicht. Heute bist du der Grubenjunge.«
»Na gut, ich gebe auf. Was ist ein Grubenjunge?«
»Wie im Bergbau, du Schwachkopf. Im Kohlebergwerk. Der schaufelt die Kohle in die Lore.«
»Ich sehe hier keine Kohle.«
»Du arbeitest ja auch nicht im Bergwerk, oder?«
»Also was soll ich denn schaufeln?«
»Du schaufelst ihre
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