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Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)

Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Darryl Wimberley
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schreckte aus dem Schlaf hoch und sah, dass Frankensteins Monster an seiner Koje rüttelte.
    »Was zum Teufel …?«
    HighWire suchte hastig nach seiner Brille und sah vor sich ein quer von rechts oben nach links unten mit Katzendarm vernähtes Gesicht. Blanke Schneidezähne wie bei einem tollwütigen Hund. Ein Fuß in Bandagen gewickelt, aus denen Blut sickerte.
    »Mein Gott, Jack, bist du das?«
    »Ich muss ein Telegramm schicken.« Jack beugte sich auf seinen Krücken vor. »An die medizinische Fakultät von Tulane.«
    »Wieso bist du denn um diese Uhrzeit noch auf?«
    »Kannst du das Telegramm für mich schicken?«
    »Ich kann das genauso gut morgen früh machen.«
    »Es muss jetzt sein. Niemand soll wissen, dass ich es geschickt habe. Und ich brauche die Antwort, sobald sie angekommen ist.«
    Der Alte nickte. »Soll Tommy es dir bringen?«
    »Nein«, sagte Jack. »Außer uns beiden darf es niemand wissen.«
    Es verging eine Woche, bevor Jack eine Antwort erhielt. Eine Woche der Heuchelei, jedenfalls, was Jack anging. Luna kümmerte sich die ganze Zeit fürsorglich um ihn, brachte ihm Essen und wechselte seinen Verband. Er hatte die Krücken gegen einen Gehstock eingetauscht, aber sie ließ ihn nicht allein die Treppe hoch- und runtergehen. Er sah Luna jeden Tag. Allein ihr Geruch erzeugte bei ihm eine Erektion. Ihre Haut, die er anfangs abstoßend fand, wirkte nun erregend und sinnlich. Er wollte seinen Bauch und seine Beine an ihren reiben. Er wollte mit der Zunge über sie fahren und in sie eindringen. Er wollte spüren, wie ihre Schenkel ihn beim Höhepunkt in die Mangel nahmen.
    Aber welche Frau würde schon mit Frankensteins Monster schlafen?
    Luna lieferte die Antwort auf diese Frage. Sie rasierte ihn. Seine erste Rasur, eine nächtliche Schur. Jack konnte im Schlafzimmerspiegel beobachten, wie Luna zwischen den von Chirurgenhand geschaffenen Hindernissen manövrierte.
    »Ich sehe aus wie ein Monster«, sagte er bitter.
    Luna unterbrach das geduldige Schaben ihres Rasiermessers.
    »Du musst noch eine Menge lernen, Jack.«
    »Wie meinst du das?« Jacks Antwort klang paranoid, sogar für ihn selbst.
    Sie zögerte. »Wie lange ist deine Frau schon tot, Jack?«
    Die Frage kam überraschend.
    »Vier … fünf Jahre vielleicht.«
    »Wie stand’s zwischen euch?«
    »Was soll die Frage?«
    »Nun, hast du rumgefickt, Jack? Ein bisschen Abwechslung gesucht?«
    »Lass mich mit solchen Fragen in Ruhe!«
    »Und …?«
    »Nein, es ist mir nicht mal in den Sinn gekommen.«
    »Schön.« Luna wischte mit einem Handtuch die Rasiercreme von ihrem Messer. »Diese Art Treue, die findet man nicht oft.«
    »Nein, das ist wahr.«
    »Außer unter Schaustellern«, fügte Luna hinzu. »Und in dem Punkt versagst du, Jack. Du bist immer nur auf deinen Vorteil bedacht. Du rechnest dir immer aus, welche Möglichkeiten sich für dich ergeben. Du verstehst im Grunde nicht, wie sich unser Leben von anderen unterscheidet. Du weißt immer noch nicht, was bei uns anders läuft als bei Bankiers oder Ärzten. Oder bei Dieben.«
    »Und du weißt es?«
    »Natürlich.« Sie klappte das Rasiermesser zu. »Es gab einen Zeitpunkt in meinem Leben, da wurde es mir absolut klar. Ich war noch minderjährig und bin buchstäblich mit dem Zirkus durchgebrannt. Ich hatte Glück, denn ich traf einen der anständigsten Männer in dem Geschäft, Mr. Clarence Wortham. Das muss 1914 gewesen sein. Er hat mir auch den Namen ›Luna, die Mondjungfrau‹ verpasst. Ich sollte also meinen ersten Auftritt haben. Es war meine erste Saison und meine allererste Zugfahrt. Und da passierte dieser Unfall.
    Jeder Schausteller kann sich noch dran erinnern. Neunundvierzig entgleiste Güterwagen. Alles war entweder angeschlagen oder total hin. Ich meine unsere Kleidung, Kostüme, Requisiten, Wohnwagen … und die Tiere. Ein schrecklicher Anblick. Elefantenmussten getötet werden und so. Ganz abgesehen von den verstümmelten Menschenleichen.
    Jeder andere hätte das Geschäft an den Nagel gehängt, aber nicht Mr. Wortham. Der ›abgebrochene Riese‹, wie ihn alle nannten, wollte keinen von uns verlieren. Er hat gesagt, wenn wir wollten, könnten wir gehen, aber wenn wir einen neuen Anfang machen wollten, würde er für unsere Kredite bürgen.
    Die meisten von uns blieben dabei. Mr. Wortham brachte mich mit zwei Clowns zusammen, Mike und Milly. Eine typische Schaustellerehe, das heißt, die beiden waren gar nicht verheiratet, aber ich bin noch nie zwei Menschen begegnet, die sich

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