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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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schippte Kohle in den Wagen wie ein Wahnsinniger, auf die Lampe achtete ich überhaupt nicht mehr. Bis sie plötzlich erlosch. Ich versuchte, sie zu ertasten, fand sie schließlich auch, drehte am Schalter, rappelte an der Lampe, doch bis auf ein letztes Aufglimmen blieb sie dunkel.
    Tatsächlich versuchte ich Idiot erst mal, auch im Dunklen weiter Kohle zu schaufeln, aus Angst vor Wawerkas Zorn, merkte aber schnell, dass das zwecklos war. Also setzte ich mich hin und wartete, dass Wawerka zurückkam. Habe den Mistkerl tatsächlich herbeigesehnt.
    Doch er kam nicht. In der stockfinsteren Schwärze hatte ich längst den letzten Rest Orientierung verloren, dennoch bin ich irgendwann – meine Flasche war leer und der Durst quälte mich immer mehr – einfach losgekrochen. Der Helm verhinderte, dass ich mir den Kopf aufschlug am nackten Fels, doch zog ich mir am ganzen Körper blaue Flecken zu. Ich habe schon gedacht, ich verrecke in der ewigen Finsternis, bis ich irgendwann dann gar nichts mehr gedacht habe, einfach weitergerobbt bin wie eine Maschine, mit trockenem Gaumen und schmerzenden Knochen und ohne jede Hoffnung. Bald wusste ich nicht mehr, was Wirklichkeit war und was Fantasie. Auch den Lichtschimmer hatte ich zunächst für Einbildung gehalten, so kaum wahrnehmbar rieselte er in die Dunkelheit, wie ein helles Sandkorn unter lauter schwarzen. Doch dann wurde das Licht immer heller, ich hörte ein Summen, schließlich Stimmen, und irgendwann konnte ich sie sehen, die Kollegen, und Wawerka mittendrin.
    »Na, da ist ja unser verlorener Sohn«, sagte er und alle lachten. Taten, als sei das Ganze ein kolossaler Spaß, ein Spaß mit dem Neuen, sonst nichts.
    Worauf Wawerka aber eigentlich aus war, die ganze Zeit schon, das sollte ich erst ein paar Tage später erfahren. Es war kurz vor Ende der Montagsschicht, ich hatte gerade einen leeren Wagen rangekarrt und wollte mit dem Beladen beginnen, als das Geratter des Abbauhammers plötzlich aussetzte. Wawerka rutschte aus dem Streb, baute sich vor mir auf und zündete sich eine Zigarette an. Quittierte mein ängstliches Zucken beim Entflammen des Streichholzes mit einem Grinsen.
    »Na, Polack, haste Angst?« Er umrundete mich wie ein Löwe sein Opfer. »Du solltest Angst haben. Unter Tage is gefährlich.«
    Wir waren allein. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, bereit, mich zu verteidigen, aber er fasste mich nicht an, er redete weiter. »Es kann so viel passieren. Du kannst in matte Wetter geraten und ersticken. Oder die Strecke bricht über dir zusammen und kein Mensch buddelt dich wieder aus.«
    »Ich weiß nicht, was Sie wollen.«
    »Ich bin dein Hauer, ich will dich warnen. Wir müssen zusammenhalten hier unten, sonst überlebt man das nicht. Und überleben willst du doch, oder?«
    »Natürlich will ich das, aber …«
    »Dann sollten wir Freunde werden, echte Kumpel. Das ist wichtig unter Tage.«
    Freunde? Ich glaubte, mich verhört zu haben.
    »Das Problem ist«, fuhr Wawerka fort, »ich kann nicht mit einem Polacken befreundet sein.«
    »Ich bin kein Pole!«
    »Dann zeig mir endlich, das du’n Deutscher bist!«
    »Wie denn? Sie lassen mich ja doch nicht in Ruhe!«
    »Wie zeigt ein Mann wohl, dass er ’n guter Deutscher ist?« Wawerka zog an der Zigarette. »Indem er Deutschlands Feinde bekämpft.«
    »Hätte ich ja! War nur zu jung für den Krieg! Bin doch dreizehn erst geboren!«
    »Der Krieg ist nicht vorbei, Deutschland hat immer noch Feinde.« Wawerkas Augen blitzten aus dem schwarzen Gesicht. »Das rote Büdchen oben in der Kolonie. Wo du so gern Bierkästen stapelst. Das sitzt einer von Deutschlands Feinden.«
    »Jakubik? Der tut doch keiner Menschenseele was!«
    »Der ist Kommunist. Was Gefährlicheres gibt es nicht.« Er drückte die Zigarette aus und legte die Kippe in die Schachtel. »Zeig mir, auf welcher Seite du stehst, Polack.«
    »Ich bin kein Pole, verdammt!«
    »Aber Kommunist bist du, oder was?«
    »Nein!«
    »Dann beweis es mir endlich. Sorg dafür, dass die rote Sau verschwindet.« Wawerka grinste und drückte mir die Zigarettenschachtel in die Hand. »Vielleicht brennt sein Büdchen ja ab.« Und dann packte er mich unvermittelt am Kragen und drückte mich gegen den feuchten Fels. Ich bekam keine Luft mehr. »Bis Ostern geb ich dir Zeit. Dann ist Jakubik aus der Kolonie verschwunden! Oder dir passiert ein Unglück, dass du dir noch wünschen wirst, dir wär nur die Grubenlampe verreckt.«
    Die ganze Karwoche quälte ich mich mit den Gedanken,

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