Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
ein paar Polen als Misthilfe für drei Euro die Stunde angeheuert hat. Zur Gewerkschaft kommen aber auch immer weniger, die letzten Jahre waren da nur noch die alten Säcke und die Funktionäre und haben rumlamentiert von wegen Sozialabbau und Raubtierkapitalismus und dem ganzen Kram. Und auch beim Tanz in den Mai ist immer weniger los. Die Männer stellen den Mädchen längst keine Birke mehr vor die Tür. Was war ich eingeschnappt, als mir der Simmering damals keine Birke hingestellt hat … Wie hätte ich denn wissen können, dass er eine Pollenallergie hat?
»Entschuldige, Liebling, das ist jetzt schon dein viertes Bier!«
»Entschuldigung angenommen!«
Ja, da guckste, Ellalein, du olle Schrapnelle! Von dir lass ich mir nicht mehr meinen Spaß verbieten. Seit zweiundzwanzig Jahren versuchste jetzt, mich zu erziehen, nur weil dein Vater mir damals den Kredit für die ersten zehn Jahre und die Sauenzucht gegeben hat. Erzählst mir, was ich anziehen soll bei den Avantgardisten. Wie ich reden soll. Ordentlich! Als ob ich Graf Koks von Haus Bögge bin, oder was?
Lothar-nie-machst-du.
Lothar-immer-tust-du.
Lothar, zieh die Schuhe aus und popel nicht in der Nase! Noch ein Schluck und ein Rülpser. Riecht nach Zwiebeln. Jetzt guckste wieder wie ’ne Schippe Maden. Ha!
Was hat mir mein Zuckerperlchen gestern Nacht im SEXXX-Chat geschrieben: »Mein Paladin! Du musst mal wieder Mann sein! Setz dich durch!«
Genau, also fang ich heute gleich damit an.
Wie spät ist es überhaupt? Mein Perlchen meinte, sie ist eh vor zehn nicht zu Hause. Und dann will se sich erst schön machen für mich, lecker schwarze Unterwäsche und Netzstrümpfe und dieses rote Samthalsband, das ich so scharf finde.
Wann hat sich die Ella mal für mich so schön ins Geschirr gespannt? Die denkt, das reicht, wenn sie mal die langen Unterhosen auszieht! Immer friert sie, sagt sie. Und was soll ich sagen – die ist innen drin tatsächlich so kalt wie ein aufgeschlitzter Frosch. Die hat längst vergessen, wie man liebt. Wie man mich liebt.
»Möchtest du noch ein Dessert, Liebes?«
»Höre ich da einen Vorwurf? Bin ich zu dick?«
»ZU dick nicht, nein. Ich mag ja Frauen mit ein bisschen mehr.«
» Na, da hat die Damenwelt aber Glück.«
Ekelhaft, wie du jetzt gerade lächelst! So stolz. Bist du stolz, weil ich mich nicht aufrege? Anstatt es dir ins Gesicht zu sagen: Ich habe nur verloren, seit ich dich zum ersten Mal küsste, damals im Mai. Meine Hoffnung, meine Unschuld. Haare, Würde. Schwerkraft.
Oder bist du stolz darauf, dass du der Erste aus deiner Familie bist, der über der Erde und nicht darunter arbeitet? Der Erste aus einer Bergmannsfamilie, der sich etwas Eigenes aufgebaut hat? Die zweitgrößte Schweinezucht zwischen Hamm und Unna!
Der Erste, mit dem ich es gemacht habe. Und der Einzige. Zu auch nur einem anderen fehlte mir der Mut, immer habe ich gehofft: Wenn ich dir nur treu bleibe, wirst du es auch, eines Tages. Sogar bei dem schönen Schützen beim Bierschießen in Flierich war ich zahm, obwohl seine Hände so zärtlich waren … Wie dumm ich war!
Manchmal muss erst die Hoffnung sterben, um zu leben.
Und mitunter muss erst ein Mann sterben, um seine Frau glücklich zu machen.
»Gehen wir? Ich bin müde.«
»Selbstverständlich, Liebling. Fährst du?«
Demnächst kannst du dich richtig ausschlafen, du Gesichtsbulette. In deiner Doppelgrabhälfte. Die kannst du bis in alle Ewigkeit allein bewohnen. Ich jedenfalls habe mich lang genug neben dich gelegt!
Am 1. Mai beginnt mein neues Leben. Ohne Ella und ihre langen Unterhosen und ihr »Nie machst du was mit mir«. Die wird schon sehen, was ich mit ihr mache.
Genau wie es damals mit ihr im Mai angefangen hat, wird es jetzt hier enden. Zufall? Schicksal?
Ich helfe ihr in den Mantel. Tigerplüsch. Sieht aus, als hätt sie dafür die halbe Muppet Show skalpiert. Er ist ihr zu eng unter den Armen. Hat Oberarme wie ein Kerl.
Sie nimmt den Weg hinten bei den HUs zurück. Alle reden immer über unsere drei Moscheen auf so’n kleines Kaff, dabei gibt es hier im Umkreis von dreißig Kilometern noch vierundfünfzig. Aber bei uns sind’se in ehemaligen Gasthöfen. Demnächst erwischt es den Simmering. Dann hört der auch mal auf, meiner Frau so nachzugläunen!
Und dann müssen da auch alle die Schuhe ausziehen.
»Schön, die Sterne, nicht, Schatz?«
»Wunderschön, Liebling.«
Du Aas, du Glöckner von Bönen, du optischer Offenbarungseid! Nach dem 1. Mai kannst du dir die
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