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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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uniformierter Begleiter grinste pausenlos verächtlich zu ihm herüber. Auch die beiden im Führerhaus des Trans porters hatten anzüglich gekichert, als sie ihn verladen hatten. War ihnen denn egal, dass er Schmerzen hatte? Was waren das bloß für Menschen, diese Aufseher? Total abgestumpft, völlig verroht.
    »Weichei«, knurrte der Mann plötzlich und saugte sich mit einem zwitschernden Geräusch die Reste seines Frühstücks aus den Zahnzwischenräumen.
    »Ich bin krank«, protestierte Hajo kraftlos. »Ich habe Schmerzen. Was meinen Sie, warum ich ins Krankenhaus gebracht werde?«
    Der Uniformierte grunzte verächtlich und murmelte: »Memme.«
    In Hajos Augen sammelten sich Tränen. Mit verschleiertem Blick starrte er hinauf zum schwankenden Wagendach und den technischen Apparaturen mit den vielen Knöpfchen und Blinklichtern, die neben ihm standen. Infusionsbeutel baumelten an klappernden Halterungen, zahllose Schläuche wanden sich wie Schlangen umeinander. All das war im Moment außer Funktion, denn er war nur pro forma auf die Trage gelegt worden. Er hatte ja nichts Lebensdrohliches, er hatte nur …
    »Kalk im Ei«, kicherte der Mann jetzt. »Hab ich echt noch nie von gehört. Kalk im Ei. Mannomannomann.«
    »Eine Verkalkung im Hoden! Damit ist nicht zu spaßen!«
    »Kinderkacke. Weichei.«
    »Das tut weh. Und es kann auf Hodenkrebs hindeuten. Die Ultraschalluntersuchung hat ergeben, dass …«
    »Quatsch. Bisschen mehr Sport und bisschen weniger Selbstbefriedigung, du Flitzpiepe. Dann klappt’s auch wieder mit den Eiern.«
    »Das kann zur Unfruchtbarkeit führen!«
    »Will ich doch schwer hoffen.« Der Mann lachte jetzt ungeniert los und schüttelte den Kopf. »Kalk im Ei. Meine Fresse.«
    Hajo kniff die zitternden Lippen fest aufeinander und wischte sich heimlich die Tränen aus dem Augenwinkel.
    Der Wagen neigte sich in eine Kurve. Wenn die weiter so rumgurkten, musste er reihern.
    Es konnte eigentlich nicht mehr lange dauern. Auch wenn es keinen Ausblick nach draußen gab, wusste er doch, dass ihr Ziel, das Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg, nicht mehr weit entfernt sein konnte. Die Gegend kannte er ganz genau. Hier war er schließlich aufgewachsen.
    Auch seine Mutter lebte jetzt hier. Was allerdings niemand wusste und was auch hübsch so bleiben sollte. Er wollte nicht, dass man in diesem Altenheim mit Fingern auf sie zeigte, weil sie einen Sohn hatte, der im Knast saß. Zum Glück trug er den Nachnamen seines Vaters, es konnte also niemand eine Verbindung herstellen. Ab und zu schrieb er ihr heimlich eine Nachricht, die er ihr über geheime Kanäle zukommen ließ. Und hin und wieder erhielt er sogar eine knappe Antwort.
    Er konnte ihre Nähe jetzt schon fast spüren und er fragte sich, ob auch sie mit ihrem liebenden Mutterherzen fühlte, wie nah sie sich waren.
    Gundel sah auf die Uhr. Viertel vor drei. Eine genaue Uhrzeit hatten sie nicht. Nicht mal dafür reichte Hajos Grips. Auf dem Zettelchen, das er ihr durch die Schwägerin des Zellenwärters im Werler Knast und deren Halbschwester, die die Nichte des Gärtnergehilfen im Seniorenstift war, hatte zustecken lassen, hatte etwas von Dienstagnachmittag gestanden.
    Dienstagnachmittag fahre ich bei dir am Heim vorbei, Mutti. Vielleicht können wir uns heimlich winken.
    Hajo glaubte allen Ernstes, sie schäme sich für einen Sohn im Knast. Er ahnte ja nicht, dass sie sich höchstens schämte, weil er wegen Immobilienbetruges saß und nicht wegen etwas Anständigem wie Raubmord oder zumindest räuberischer Erpressung.
    Dienstagnachmittag, das war heute. Das Ding konnte steigen, ihr Plan war nicht spektakulär, aber dafür einfach und genial. Sie hatte wegen der knappen Zeit improvisieren müssen, was sie normalerweise vermied, aber eine solche Gelegenheit würde sich so schnell nicht wieder bieten.
    Sie hatte ihre Position am Rande eines Feldes oberhalb des Justizkrankenhauses bezogen. Unbeweglich stand sie da, auf den Krückstock mit dem silbernen Knauf gestützt, und wartete. Es fiel leichter Nieselregen, das Wetter war ideal. Auch Henny Sesterheim, Gustav Lütgenjohann und Friedrich Ascheberg waren auf ihren Posten. Gundel hatte sie genau instruiert, denn sie hatten nur diese eine Chance, Pawlowsky ein für allemal loszuwerden.
    Sie hob das Fernglas an die Augen. War es so weit? Ja, tatsächlich. Ascheberg warf seine Zigarettenkippe weg und winkte mit dem Stock. Es ging los!
    Der Krankentransporter kam von Hohenheide den Berg herunter.

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