Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
Dazu fasste er ihren Oberarm und wrang die schlaffe Haut mit beiden Händen wie einen Putzlappen. Das verursachte einen höllischen Schmerz, der aber nichts als ein paar heftige Rötungen auf der Haut hinterließ, die rasch wieder verblassten.
Gundels Blick fiel auf den Spiegel, der im Halbdunkel hinter der halb offenen Badezimmertür zu sehen war. Sie erkannte ihre eigene kleine, rundliche Gestalt und musste daran denken, dass auch sie irgendwann Pawlowsky ausgeliefert sein würde.
Das Schmallenbach-Haus in Fröndenberg war ein gutes Seniorenheim. Man gestaltete ihnen hier den Lebensabend so angenehm wie möglich. Das Personal war zuvorkommend und eigentlich ging es Gundel hier so gut wie selten zuvor in ihrem Leben. Da war nur dieses eine Schwein, dieser bösartige Kerl, der sie alle drangsalierte. Und keiner konnte ihm etwas entgegensetzen, denn keinem von ihnen glaubte man, dass es einem solchen Unmenschen tatsächlich gelang, sein Unwesen in einem Altenheim zu treiben.
Uli Pawlowsky war ein großer, fast tumb wirkender Kerl, der gemeinhin den knuffigen Bären spielte, hinter dessen leutseligem Auftreten sich aber ein bösartiges, sadistisches Wesen verbarg.
Unbewusst strichen Gundel Sudhoffs Finger über die gerahmten Fotografien auf dem Sideboard. Sie war allein. Ihre Söhne hatten sie schon vor langer Zeit verlassen.
Steve war der Erste gewesen. Bei einer Schießerei im Hafen von Marseille hatte es ihn erwischt. Aber vorher hatte er noch sechs Mann kaltgemacht, die letzten beiden, als er schon am Boden gelegen hatte. So hatten sie es ihr jedenfalls erzählt. Ein tapferer Bursche, ihr Stevie.
Roberto ging dann zwei Jahre später. Einer seiner selbst gebauten Sprengsätze war ihm um die Ohren geflogen, als er mit ihm ein Loch in eine Frankfurter Bank bomben wollte. Alle Zeitungen waren voll davon gewesen. Sie verspürte immer noch Stolz, wenn sie daran zurückdachte, wie man ihn damals genannt hatte: den Bomben-Kerl.
Costas war schließlich wegen einer besonders skrupellosen Geiselnahme auf dem elektrischen Stuhl gelandet. In Texas fackelten die bei solchen Sachen nicht lange. Für Costas hatten sie den Strom sogar noch höherdrehen müssen. Ein strammes Kerlchen, schon damals im Kindergarten.
Ja, aus ihren Söhnen war was geworden. Bei jedem von ihnen hatte offenbar einen ordentlicher Cocktail von ihren Genen und denen der verschiedenen Väter für eine aufregendes Leben und einen nicht minder aufregenden Abgang gesorgt. Der Ami, der Itaker und der Grieche … Gundel war früher nicht gerade tugendhaft gewesen.
Nur die Nummer mit Olaf, dem Gebrauchtwagenheini aus Wattenscheid, hätte sie sich besser erspart.
Sie war jetzt beim letzten Bilderrahmen angekommen. Hajo. Ihr Jüngster. Wie belämmert der schon in die Kamera guckte.
Hajo war der Einzige, der ihr geblieben war. Der Blindgänger saß im Moment in Werl im Knast – wegen Immobilienbetruges. Gundel kniff die Lippen zusammen, als sie ihn betrachtete. Nicht ein einziges Menschenleben hatte er auf dem Gewissen. So ein Versager.
Die Zimmertür flog auf und Lütgenjohann und Ascheberg polterten herein, sich im Türrahmen gegenseitig anrempelnd, empört zitternd. Der Atem der beiden Alten ging rasselnd und stoßweise.
»Hörst du’s Gundel?«, keuchte Gustav Lütgenjohann und fummelte an seinem Hörgerät. »Er hat Henny in der Mangel.«
Friedrich Ascheberg schritt derweil mit gesenktem Kopf die Muster im Perserteppich ab und schlug hinter dem Rücken die Hände klatschend ineinander. »Pawlowsky! Diese Ratte. Diesem Drecksack müsste man den Hals umdrehen!«
Nebenan wurde es jetzt still. Das Stöhnen hatte aufgehört und Lütgenjohann murmelte: »Der macht mit uns, was er will.« Er sah Gundel und Ascheberg mit weinerlicher Miene an. »Mir schnallt er immer extra das künstliche Bein so lose an, dass ich durch die Gänge schlingere wie ein alter Schleppkahn auf der Ruhr. Friedrich, dir klaut er andauernd die Zigaretten, ohne mit der Wimper zu zucken. Und unserer Henny verdreht er die Arme, wenn sie ihm kein Geld gibt. Das wird ewig so weitergehen!«
Gundel hatte langsam den Kopf zum Fenster gewandt und schickte einen verschleierten Blick in den grauen Maihimmel, der über Fröndenberg hing. Sie sah jenseits des Neubaugebiets die Flachdächer des Justizkrankenhauses und murmelte: »Nein, das glaube ich nicht.«
Ihm war kalt und er musste dringend aufs Klo. Und weil der Krankenwagen so schaukelte, war ihm auch ein bisschen übel.
Sein
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