Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
Vom Netzwerk:
Hinter dem frischen Grün des Buschwerks am Straßenrand war der Wagen kaum zu erkennen. Aber er war es. Ascheberg hatte ihn als Erster gesehen, jetzt waren alle alarmiert.
    Henny Sesterheim war eine versierte Rollatorpilotin. Stundenlang konnte sie auf dem Fröndenberger Marktplatz auf ihrem Gefährt ausharren, wie ein Förster auf seinem Hochsitz. Wie kein anderer konnte sie dabei zugleich auch Geschäftseingänge und Parkbuchten blockieren; sie beherrschte aber auch den Hundehaufenslalom und das Einfädeln in den fließenden Straßenverkehr perfekt. Und jetzt klammerte sie sich gerade an einer Straßenlaterne fest und gab dem Rollator einen Stoß, sodass der, elegant angeschnitten und mehrere kühne Pirouetten drehend, auf die Fahrbahn schoss. Ein Fiat Punto, der sich aus dem Tal heraufquälte, wich aus und raste auf den entgegenkommenden Krankentransport zu, konnte jedoch im letzten Moment ausweichen. Dennoch geriet der Krankenwagen ins Schlingern, was, so wie Gundel das erhofft hatte, durch die glitschige Straßenoberfläche noch begünstigt wurde. Und da musste der Fahrer auch schon abrupt bremsen, als Gustav Lütgenjohann todesmutig auf die Straße trat.
    Es quietschte, es knallte und obwohl Lütgenjohann unverletzt zur Seite sprang, landete doch sein künstliches Bein mit dem guten Ausgehschuh auf der Windschutzscheibe und verfing sich mit einem Schnürsenkel im hektisch hin und her tanzenden Scheibenwischer. Derart geblendet verriss der Fahrer das Steuer und der Transporter schlingerte von der Fahrbahn und durchs Buschwerk halbwegs die Straßenböschung hinauf.
    Von allen Müttern auf der Welt ist keine, die mir so gefällt wie meine Mutter, wenn sie lacht und wenn sie mir die Tür aufmacht.
    Hajo hatte gerade an den bevorstehenden Muttertag gedacht, als der Tumult losbrach. Plötzlich war alles falsch herum. Geräte polterten durch den Innenraum des Wagens, die Schläuche peitschten Hajo ins Gesicht, die beiden Männer im Führerhaus und sein Bewacher schrien durcheinander. Das Fahrzeug kippte zur Seite, Hajo fiel von seiner Trage, zu den kreischenden Geräuschen des sich verformenden Blechs kippte der Wagen aufs Dach und die Hecktüren sprangen auf.
    Hajo tastete um sich, fand die Hand des bewusstlosen Bewachers, dem offenbar ein umherfliegendes Kardioskop gegen den Schädel geknallt war.
    In der Tür erschien das runzlige Gesicht eines alten Mannes mit Cordhütchen, der ihn unbeherrscht anblaffte: »Los, raus hier! Keine Zeit zu verlieren!«
    Hajo schüttelte verblüfft den Kopf und versuchte, eine Decke über sich zu ziehen. »Ich bin krank«, wimmerte er. »Ich hab Kalk im Hoden.«
    Der Alte polterte los: »Kalk hab ich auch. Ich hab überall Kalk, auch im Ei meinetwegen. Los, Jüngelchen, ab durch die Mitte!«
    Der Bewacher hob in diesem Moment unsicher den Kopf und blinzelte verwirrt. Der Opa schlug, ohne zu zögern, mit seinem hölzernen Spazierstock zu und schickte ihn zurück ins Reich der Träume. Dann fummelte er einen Briefumschlag aus der Innentasche seines graublauen Blousons. »Hier, für dich!«
    Als Hajo unsicher das Papier entgegennahm, erkannte er zu seiner Verwunderung seinen eigenen Namen. Hans-Josef. In der krakeligen Handschrift seiner Mutter.
    »Gundel sagt, dass du abhauen sollst, Jüngelchen. Steht alles da drin. Und jetzt mach hinne, bevor die Bullen kommen.«
    »Aber ich hab doch gesagt, ich bin krank. Ich habe Kalk im Hoden. Das ist sehr schmerzhaft, und außerdem ist mir ein bisschen schlecht und unheimlich kalt und auf die Toilette muss ich auch dringend.«
    Der Alte holte mit dem Gehstock aus. »Verflixt und zugenäht, muss ich denn erst …?«
    »N-nein!« Wimmernd stolperte Hajo ins Freie. Der Nieselregen ging als feiner Schleier auf ihn nieder. »Es regnet«, jammerte er. »Und mir ist der Defibrillator auf den Zeh gefallen.«
    Doch als er den erhobenen Stock sah, drückte er den Briefumschlag gegen die Brust und stolperte davon wie ein geprügelter Hund.
    Die Frau, die auf der Anhöhe am Rande des Feldes stand und das Geschehen mithilfe eines Fernglases verfolgte, sah er nicht.
    Sie hockten zusammen in Gundels Zimmer. Lütgenjohann ließ einen Flachmann mit Korn kreisen. »Das wäre also schon mal erledigt«, knurrte er.
    »Und das ist wirklich dein Sohn?«, fragte Ascheberg und deutete mit dem knorrigen, nikotingelben Zeigefinger auf Hajos Foto. »Bisschen jämmerlich, oder?«
    »Der wird das schon machen«, sagte Gundel knapp und nahm einen langen Schluck aus der

Weitere Kostenlose Bücher