Kalifornische Sinfonie
den Tisch und sang den Text mit:
»Meine Wangen sind rosig, sagst du?
Lieber Freund, das kommt daher, weißt du –
Daß ich träumte von dir in der Nacht.«
»Nun«, lachte sie, »ist es richtig? Selbstverständlich ist es richtig. Jedermann kennt das Lied; es ist tausend Jahre alt. Singen Sie jetzt weiter. Ich muß sehen, wie es Mr. Bartlett geht. Er braucht einen Whisky, ich seh’ es ihm an. Bitte sehr, Mr. Bartlett, eine ganze Flasche. Ausschließlich für Sie.«
Mr. Bartlett schwankte hin und her und war selig. Florinda füllte seine Tasse und lachte geschmeichelt über irgendein Kompliment, daß er ihr mit schwerer Zunge zugeflüstert hatte.
Garnet sah sich um. Sie erblickte Texas, der allein an einem Tisch saß, eine Tasse und eine Flasche vor sich. Er trank so ruhig und gelassen, als handele es sich um ein ernsthaftes Geschäft. John Ives kam zwischen den Tischreihen heran. Auch er hielt eine Tasse am Henkel; aber sie war leer und er schien völlig nüchtern. Er kam zu Oliver an den Tisch und grüßte Garnet mit ruhiger Höflichkeit.
»Darf ich einen Augenblick stören«, sagte er und nahm ein Papier aus der Tasche, das er Oliver reichte. »Es sind die Verkaufsziffern für das Mauleselgeschäft.«
»Ausgezeichnet«, sagte Oliver, das Papier flüchtig überfliegend, »setz dich.«
Er rückte etwas näher an Garnet heran, und Ives ließ sich an der anderen Tischseite nieder. Gleich darauf war er mit Oliver in ein angeregtes Gespräch verwickelt. Oliver war nur hier, um Garnet eine Freude zu machen; er fand, Florinda sei ein ganz reizvolles, unterhaltsames Geschöpf, aber er interessierte sich nicht sehr für ihren ferneren Lebensweg. Im Augenblick sprach er mit Ives über das Grammagras, das hierzulande Mesquite genannt wurde und draußen in der Prärie wuchs. Aus der Höhe dieses Grases ließen sich Rückschlüsse auf die Wasserverhältnisse ziehen. Garnet hörte eine Weile zu, aber der Gegenstand interessierte sie nicht sehr; sie verstand zu wenig davon. Sie sah deshalb wieder zu Florinda hinüber, die vollauf mit ihren zahlreichen Bewunderern beschäftigt war. Mr. Penrose suchte verzweifelt nach einer bestimmten Melodie; er summte unentwegt vor sich hin. Florinda versuchte ihm behilflich zu sein; schließlich sagte sie lachend:
»Man sollte meinen, Sie seien mit Kolumbus herübergekommen; so alt sind die Lieder, die Sie immer singen. Sie waren zu lange aus der Welt. Ich werde Ihnen ein paar neue Lieder vorsingen. Aber zuerst muß mir jemand ein großes Glas Wasser bringen. Meine Kehle ist trocken wie ein Knochen, der in der Sonne lag.«
»Florinda kennt alle Lieder«, sagte Mr. Bartlett, mit den Armen fuchtelnd. »Sie hat hundert Lieder im Kopf, tausend Lieder im Kopf, jedes einzelne Wort. Großartig! Phantastische Frau, sage ich Ihnen!«
»Zeigen Sie Ihren Kragen her, Mr. Bartlett«, sagte Florinda; »wie sehen Sie wieder aus! Wahrhaftiger Gott, wie ein Landstreicher! Ich mag nicht, daß die ganze Stadt darüber redet, wie schlecht ich für Sie sorge.«
Mr. Bartlett wandte sich ihr zu und ließ sich den Kragen glattstreichen. Ihre Fürsorge schien ihm sehr zu gefallen; er grunzte vor Seligkeit. Silky Van Dorn trat vor Florinda hin und sah sie aus leicht vernebelten Augen an.
»Wo, zum Teufel, habe ich Sie gesehen?« sagte er. »Eine Frau wie Sie vergißt man doch nicht.«
Florinda strahlte ihn aus ihren blauen Augen an. »Denken Sie mal scharf nach«, sagte sie. »Erinnern Sie sich immer noch nicht?«
»Nein, noch nicht. Es ist unbegreiflich. Aber es dauert nicht mehr lange. Ich kann nichts anderes mehr denken. So ein Gesicht! Und solch goldenes Haar!«
»Es denkt gar nicht daran, golden zu sein«, lachte Florinda. »Es ist flachsfarben. Nahezu weiß.«
»Jedenfalls ist es einmalig. Und es fällt mir ein. Es fällt mir ganz bestimmt ein. Ich habe Sie gesehen.«
Sie schenkte ihm ein schmachtendes Lächeln. »Eines Tages werde ich es Ihnen sagen«, flüsterte sie.
»Sie wissen es?« rief er. »Oh, ich sehe es Ihnen an: Sie wissen es!«
»Wie? Natürlich weiß ich es. Aber Sie haben mein Selbstbewußtsein verletzt, weil Sie sich nicht mehr erinnerten. An eine Frau wie mich erinnert man sich. Deshalb ließ ich Sie zappeln. Lassen Sie die Flasche stehen, Mr. Van Dorn, sie gehört Mr. Penrose. Ich muß sie für ihn verwahren, während er auf der Jagd ist, um mir einen Schluck Wasser zu besorgen. Das hier ist Ihre Flasche.«
Oliver wandte sich Garnet zu. »Was denkst du?« sagte er.
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