Kalifornische Sinfonie
wußte zweifellos mehr über John Ives als sie. Sie hatte während des langen Prärietrecks so viele neue Erfahrungen gesammelt, daß ihre Unruhe schließlich begreiflich war. Sie nahm ihren Nähkorb zur Hand und machte sich an die Arbeit.
Als Oliver am Abend aus dem Geschäft zurückkam, war ihm keinerlei innere Besorgnis anzumerken. Er erzählte ihr, daß John Ives prachtvolle Maulesel und eine Menge ausgezeichneter Waren gebracht habe, die er an die Missouri-Händler zu verkaufen gedenke. Er selbst habe in Taos vor allem Decken gekauft. Weitere Decken gedachte er von den indianischen Webern rund um Santa Fé zu bekommen. Alles in allem versprach die Reise ein gutes Geschäft zu werden. Einstweilen gab es noch viel Arbeit, aber Oliver war mit dem Gang der Dinge sehr zufrieden. Er brachte einen tüchtigen Appetit mit.
»Hatte John Ives einen Brief für dich?« fragte Garnet.
»Wieso? Nein, er hatte keinen Brief.« Oliver goß sich Waschwasser in das Becken.
»Ich frage mich, was er dann gesagt haben könnte, als er mich zum erstenmal auf spanisch ansprach«, sagte Garnet.
Oliver wusch sich das Gesicht. »Ich habe ihn danach gefragt«, sagte er prustend. »Er behauptete, sich genau an seine Worte zu erinnern: ›Ist Mr. Hale zugegen? Ich hätte ihn gern gesprochen.‹ oder so ähnlich. Einen Augenblick, Garnet, ich habe Seife in den Mund bekommen.«
Nun gut! dachte Garnet; vielleicht habe ich ihn wirklich falsch verstanden. Sie fühlte sich erleichtert, da sie Oliver so ruhig sah.
Während Señora Silva das Abendessen servierte, sprach Oliver mit Garnet über den bevorstehenden Kalifornientreck. Es waren noch mancherlei Vorbereitungen zu treffen; viele unterwegs unentbehrliche Gegenstände mußten angeschafft werden. »Du wirst, solange wir noch hier sind, nicht mehr sehr viel von mir zu sehen bekommen«, sagte er; »ich hoffe, du wirst das begreifen.«
»Oh, selbstverständlich«, sagte Garnet, »das dachte ich mir schon.«
Oliver lächelte sie zärtlich an. Señora Silva verstand kein englisches Wort; sie konnten deshalb in ihrer Anwesenheit völlig ungeniert sprechen. »Garnet«, sagte Oliver, »liebst du mich noch?«
»Du«, sagte sie, »du weißt wohl, wie sehr ich dich liebe.«
Señora Silva räumte die Teller ab und brachte Ziegenkäse, der in der Regel die Mahlzeit beschloß. Oliver schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit einem etwas hilflosen Lächeln: »Weißt du, daß ich nicht gut genug für dich bin, Garnet? Ich bin es wirklich nicht.«
»Welcher Unsinn!« sagte Garnet. »Seit ich mit dir verheiratet bin, habe ich mehr glückliche Stunden erlebt als in meinem ganzen vorherigen Leben. Da fällt mir etwas ein: Können wir heute abend zusammen in die Fonda gehen?«
Sie erzählte ihm, daß Florinda ihr gesagt habe, Mr. Bartlett wolle sie heiraten. Sie wisse nicht, was in der Fonda vor sich gehen werde, aber sie möchte gern hingehen; Florinda habe einige Andeutungen gemacht.
Oliver lächelte, augenscheinlich amüsiert. »Sie würde gut daran tun, vorsichtig zu sein«, sagte er. »Bartlett könnte verteufelt unangenehm werden, wenn er erfährt, wer sie ist.«
Garnet blieb keine Zeit mehr, ihm zu erklären, was sie Florinda gesagt hatte. Es drängte sie, zur Fonda zu kommen. Florinda führte irgend etwas im Schilde.
Die Fonda war bis zum Bersten gefüllt. Tabaksqualm hing dick in der Luft und es herrschte ein höllischer Lärm. Florinda war schon da; sie saß zwischen Bartlett und rund einem Dutzend amerikanischer Händler. Sie war der Mittelpunkt dieses Kreises und schien die um sie versammelten Männer ausgezeichnet zu unterhalten. Ihre Hauptbeschäftigung bestand darin, fortgesetzt die geleerten Gläser zu füllen. Sie winkte Oliver und Garnet fröhlich zu, als sie den Raum betraten. Die Männer machten Garnet übertriebene Verbeugungen. Oliver sah sich um und fand schließlich einen Platz. Ein Kellner erschien und brachte ihnen eine Flasche Wein.
Florinda saß nicht sehr weit von ihnen entfernt. Mr. Penrose hockte vor ihr auf dem Tisch, zupfte an einer Gitarre und sang Schlagertexte. Obgleich er bereits leicht angetrunken war, sang und spielte er ausgezeichnet. Garnet hörte Florinda sagen:
»Ausgeschlossen, Mr. Van Dorn, Sie trinken das selbst; mir schmeckt es nicht. Singen Sie weiter, Mr. Penrose, es macht mir Spaß, Ihnen zuzuhören. Wie? Selbstverständlich erinnere ich mich an den Song. Den habe ich schon in der Wiege gehört.«
Sie setzte sich mit einem Schwung neben ihn auf
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