Kalifornische Sinfonie
menschliche Siedlungen oder gar größere Städte entstehen könnten. Sie erinnerte sich an den Tag, da die kalifornischen Händler in Santa Fé einritten, wild und verdreckt und verwegen wie Strandräuber. Ihr waren sie damals wie Helden und Eroberer erschienen, wie Männer, die Grenzen hinter sich ließen und an den wüstesten Stellen der Erde neue Reiche errichteten.
Oliver kam zu ihr herangeschlendert. »Es wird dunkel«, sagte er; »die Maulesel sind angepflockt. Sollen wir schlafen gehen?«
Er nahm die Decke beiseite, die an Stelle einer Tür vor Garnets Schutzhäuschen hing; sie trat ein und begann sich zu entkleiden. Sie schlüpfte unter ihre Büffelfelldecken und streckte sich aus.
»Oliver«, sagte sie, als er gleichfalls hereinkam und sich neben sie legte, »warum hast du mir nie gesagt, daß wir durch eine so phantastisch herrliche Landschaft ziehen würden?«
Sie hörte in der Dunkelheit sein Lachen. »Mein liebes Kind«, sagte er, »nach längstens einem Monat wirst du diese Landschaft so satt haben, daß du deine Daumen für den Anblick einer einfachen weißen Ziegelwand geben würdest.«
»Ich glaube, John Ives hat es noch immer nicht satt.«
»John ist ein sonderbarer Mensch. Die Felsengebirge liebt er wahrscheinlich, weil sie nicht sprechen können.«
»Wer ist er eigentlich, Oliver?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, sagte Oliver. »Er kam eines Tages auf einem Yankeeklipper nach San Diego. Von dort kam er zu Fuß nach Los Angeles und fragte in Mr. Abbotts Geschäft nach Arbeit.«
»Wer ist Mr. Abbott?«
»Ein fetter Yankee aus Maine. Er hat einen großen Laden in Los Angeles und handelt in der Hauptsache mit Häuten und Fellen, die er von den großen Ranchos bezieht. Alle Yankees, die Häute kaufen wollen, kommen zu ihm. Wahrscheinlich hatte John auf dem Schiff von ihm gehört. Abbott stellte ihn ein; er mußte Häute aufschichten und über Einnahmen und Ausgaben Buch führen. Sie handeln nicht viel mit Bargeld, weißt du. Das ganze Geschäft geht auf dem Papier vor sich. Die meisten Leute in Los Angeles können weder lesen noch schreiben, deshalb wurde John bald sehr nützlich für Abbott und auch sonst, nachdem er einmal Spanisch gelernt hatte. Ich traf ihn eines Tages in Abbotts Laden. Er hatte sich etwas Geld gespart. Nachdem er gehört hatte, daß ich im Santa-Fé-Handel steckte, fragte er mich nach den Möglichkeiten aus, die dort gegeben seien, und äußerte den Wunsch, selbst in das Geschäft einzusteigen. Ich glaube, ich habe einen ganz guten Blick für Menschen, und John Ives schätzte ich gleich richtig ein. So dauerte es denn nicht mehr lange, bis wir zusammenarbeiteten. Ich habe an ihm einen ausgezeichneten Partner.«
»Und das ist alles, was du über ihn weißt?«
»Ja. Was er früher trieb, ahne ich nicht. Als er vom Schiff kam, besaß er nichts außer einem Bündel mit alten Kleidern. Aber er ist zweifellos ein Mann von Erziehung.«
»Hat er nicht einen engeren Freund?«
»Doch. Es gibt da einen halbzivilisierten Russen, der von einer der Pelzstationen im Norden herunterkam. John hat ihn irgendwo aufgelesen und ihm etwas Englisch beigebracht. Sie scheinen einander zu mögen.«
Oliver lachte wieder leise vor sich hin. »Garnet«, sagte er, »ich bin wahrhaftig nicht eifersüchtig, aber komm nicht auf den Gedanken, John bewundere dich deines schwarzen Haares und deiner rosigen Wangen wegen. Heute nimmt er dich vielleicht wahr, und schon morgen geht er an dir vorbei, als wärest du gar nicht vorhanden.«
»Ja«, sagte Garnet nachdenklich, »das scheint so zu sein. Ich wünschte, ich könnte es verstehen. Menschen, die ich kenne, möchte ich auch verstehen.«
»Bedürfnisse dieser Art könnten dich eines Tages in Schwierigkeiten bringen«, sagte Oliver. »Um aber auf näherliegende Dinge zu kommen, wo ist deine Pistole?«
»Hier, neben mir. Gibt es irgendeine Gefahr?«
»Nein, aber ich bin mit zur Wache eingeteilt. Mein Dienst beginnt um Mitternacht. Bis dahin hat John Wache; er weckt mich, wenn es soweit ist. Du wirst dann für ein paar Stunden allein sein. Ich denke, es wird dich nicht beunruhigen; ich bin vor Tagesanbruch wieder bei dir. Wenn es sich vermeiden läßt, möchte ich die Dämmerungsschicht nicht gern übernehmen.«
»Warum?« fragte Garnet, »was ist es mit der Dämmerungsschicht?«
»Organisierte Indianerüberfälle finden nahezu immer in der Morgendämmerung statt«, antwortete Oliver. »In dieser Zeit möchte ich also an deiner Seite
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