Kalifornische Sinfonie
diese ruhigen, nüchternen und ernsthaften Männer. Vor knapp einer Woche noch hatten sie sich in Santa Fé wie die Narren gebärdet. Hier draußen waren sie die Ruhe und Nüchternheit selbst. Die meisten begannen den Tag zwar mit einem Schluck Whisky, wobei sie erklärten, daß er ihnen bei der empfindlichen Kälte der frühen Morgenstunden die Glieder erwärme, aber nicht einer dachte daran, sich jemals zu betrinken. Selbst Texas, der in Santa Fé nahezu ständig in irgendeiner Ecke gesessen und getrunken hatte, wollte plötzlich offenbar nichts mehr vom Alkohol wissen. Er hatte bisher keine Flasche angerührt.
Sie ritten durch eine Landschaft von phantastischer Wildheit. Bei jeder Wegbiegung riß Garnet vor Staunen und Entzücken die Augen auf. Der Pfad führte einstweilen durch zackiges Felsengeröll ständig bergan; die Felsen wirkten weniger düster als die früher durchrittenen, aber sie fielen in steilen Schrunden zuweilen fast gradlinig ab und leuchteten in Schwarz, Kupfer und Rot. In ständig wechselnder Schattierung standen sie majestätisch vor dem klarblauen Horizont. In den Felsschründen wuchsen Bäume, die Kiefern glichen, und Strauchwerk mit rauhen graugrünen Blättern, an dem eben gelbleuchtende Blüten aufbrachen.
Die Felsen in der Nähe des Flusses hatten flache Gipfel und grelle Farbschattierungen, die wie schräge Streifenmuster wirkten. Dahinter türmten sich großartige rote Felsformationen wie Burgen; Garnet glaubte eckige Wände und runde Türme zu sehen, wie bei den mittelalterlichen Burgen Europas. Sie sahen nicht aus wie wirkliche Burgen, sondern wie aus Träumen gewachsene Phantasieschöpfungen eines begnadeten Künstlers, mit Türmen und Türmchen und Brustwehren und Zinnen, die Traumkriegern dienten. Meilenweit zog sich diese Kette von Burgen dahin, ein Bild von erhabener Größe. Garnet, einer solchen Phantasmagorie gegenüber, ließ einen Ruf des Entzückens ertönen. Florinda fragte: »Was haben Sie?«
»So sehen Sie doch nur«, sagte Garnet. »Die Felsen da! Sind sie nicht großartig? Wie erscheinen sie Ihnen?«
Florinda folgte der weisenden Hand Garnets mit dem Blick. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »die großen, abgeplatteten sehen aus wie Schichtkuchen; für die großen roten Klumpen dahinten wüßte ich gar keinen passenden Vergleich.«
Garnet wandte ihr den Kopf zu und starrte sie an. Florinda schlug eben nach einer Mücke, die sich auf ihrer Nase niedergelassen hatte. »Lieber Gott, Garnet«, stöhnte sie, »ich glaube, dieses entsetzliche Land wird sicher noch so heiß wie das Innere einer Kuh.« Garnet schwieg. Sie dachte: Sie sieht es nicht. Sie gehört zu den Menschen, die durch eine Märchenlandschaft reiten können und nichts wahrnehmen. Florindas Schönheitsbegriff war eng begrenzt. Er umfaßte ausschließlich Kleider, Juwelen und ihr eigenes Spiegelbild. Ein Gebirge oder einen Sonnenuntergang bemerkte sie gar nicht.
Nachdem Garnet das einmal erkannt hatte, sprach sie zu Florinda nicht mehr über ihre Landschaftseindrücke. Aber am Abend ging sie, während die Köche dabei waren, ihre Feuerlöcher zu graben, an den Weideplätzen vorbei und sah zu den Felsen hinüber. Die sinkende Sonne warf rötliche Strahlen über das Bergmassiv; in phantastischen Spiegelungen kam das Licht von den Felsen zurück und zauberte schwarze und purpurne Gobelins auf die Erde. Garnet hörte hinter sich die lauten Zurufe der Männer und das Geschrei der Maulesel. Nicht weit vor ihr kauerte regungslos ein Mann, einer der ausgestellten Posten, wie sie wußte. Seine linke Hand schirmte die Augen ab, die in die Ferne spähten, die rechte lag am Gewehrkolben. Auch Garnet stand regungslos. Oliver hatte ihr eingeschärft, nie einen Posten durch eine plötzliche Bewegung hinter seinem Rücken zu erschrecken. Die Sonne verschwand hinter einer der roten Traumburgen; nahezu übergangslos wandelte sich das Licht. Die Luft schien von dichtem Purpur, nur die Kronen und Zinnen der Türme glänzten noch in goldenem Schimmer. Garnet wandte den Kopf, um den schnell wandernden Schatten mit den Augen zu folgen. Da sah sie, wenige Fuß zu ihrer Rechten, John Ives neben einem Felsen stehen. Sie war der Meinung, sich kaum bewegt zu haben, aber John mußte gleichwohl das Rascheln ihres Kleides vernommen haben, denn er wandte sich ihr zu.
»Guten Abend, Mrs. Hale«, sagte er ruhig.
Garnet lächelte verlegen. »Entschuldigen Sie, Mr. Ives«, sagte sie, »ich wollte Sie nicht stören. Ich wußte nicht, daß
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