Kalifornische Sinfonie
erwachte und blinzelte auf die blauen Vorhänge an den Wänden. Dunkel wurde ihm bewußt, wo er war. Er dehnte und streckte sich. Die Fensterläden waren geschlossen und die Vorhänge zugezogen, aber durch Ritzen und Spalten drang helles Licht. Er sprang auf und öffnete das Fenster. Es regnete nicht mehr. Die Sonne stand hell am Himmel und, wie immer bei gutem Wetter, befand sich die Mehrzahl der Bevölkerung auf der Straße. John sah die Frauen zum Bach hinuntergehen; halbnackte Digger liefen mit schweren Eimern herum und verkauften Wasser. Dann und wann rumpelte ein schwerer, zweiräderiger Ochsenkarren heran. Die lärmenden Geräusche des erwachten Tages drangen herein; John erinnerte sich daran, daß Florinda noch schlief und schloß das Fenster.
Er ging langsam zum Bett. Florinda lag auf der Seite; sie hatte kein Kopfkissen. Ihr helles, glänzendes Haar flutete in weichen Wellen über das Bett; der Kopf lag darin wie in einem Nest. Sie trug ein bis zum Hals geschlossenes Nachthemd mit langen Ärmeln und Spitzenrüschen, die die Hände bis fast zu den Fingerspitzen verbargen. John grinste amüsiert. Selbst ihre Nachthemden verraten noch ihre Eitelkeit, dachte er. Aber dann fiel ihm ein, daß Florinda ja nicht immer allein schlief.
Er wollte sie nicht früher als unbedingt nötig wecken. Sie hatte einen zweiten Eimer mit Wasser heraufgeschleppt, der neben dem Waschständer stand. Er füllte den Waschkrug, dessen Inhalt er am Abend verbraucht hatte, nahm den Eimer mit dem restlichen Wasser und verließ das Zimmer.
In der Bar war alles totenstill. John sah in die Küche hinein; hier lagen seine Satteltaschen in einer Ecke. Er nahm sie auf und wusch sich in dem kleinen Vorraum am Fuße der Treppe. Nachdem er sich rasiert, seine Kleidung gewechselt und ein Paar trockene Stiefel angezogen hatte, fühlte er sich frisch und hungrig.
In dem Korral hinter dem Haus befanden sich mehrere Pferde, die an den Rispen des Wildhafers herumzupften, der im Regen der letzten Wochen hochgeschossen war. John verließ den Korral durch die Gattertür und stieß auf Pablo, der bereits mit einer Frau aus dem Nachbarhaus Bekanntschaft geschlossen hatte und gerade ein Frühstück serviert bekam. John gab der Frau ein paar Kupfermünzen für eine Schüssel Bohnen und eine Schale Schokolade, sagte Pablo, er möge die Sättel frischen Pferden auflegen, ließ sich eine zweite Portion Bohnen und Schokolade geben und ging zu Florinda hinauf. Florinda schlief immer noch. John stellte Schüsseln und Schalen auf die Wandbank, legte ihr eine Hand auf die Schulter und schüttelte sie sanft.
Florinda schlug die Augen auf, sah ihn einen Moment verständnislos an und richtete sich dann im Bett auf.
»Oh«, sagte sie, »Sie sind es, Johnny. Pfui Teufel, ist das kalt!« Sie zog die Decken wieder über sich. »Wie spät ist es?«
»Ich weiß es nicht. Ich war gestern abend so müde, daß ich vergessen habe, meine Uhr aufzuziehen. Aber es ist jedenfalls heller Tag; die Sonne steht am Himmel. Ich habe Ihnen Frühstück gebracht.«
Florinda gab sich einen Ruck und rieb sich die Augen.
»O John«, sagte sie, »Sie sind ein Engel. Wo haben Sie das schon her? Sagen Sie nicht, Micky sei so früh aufgestanden.«
»Micky?«
»Der Chinesenboy, ja. Er ist ein Juwel, und ich mag ihn sehr.«
»Ich habe keinen Micky gesehen. Ich ließ mir Bohnen und Schokolade von der Frau geben, die gleich hinter dem Korral wohnt.«
»Ach, denken Sie an! Das ist eine nette Person. Sie heißt Isabel. Ich lasse meine Wäsche bei ihr waschen.« Florinda begann ihre Schokolade zu schlürfen. »Gehen Sie hinunter und kümmern Sie sich um die Pferde«, sagte sie, »ich ziehe mich inzwischen an. Ich habe mir einen Sattel geben lassen und auch schon etwas in die Satteltaschen gepackt in der Nacht. Sie finden alles im Vorraum unter der Treppe.«
»Das haben Sie alles gemacht? Ich habe nichts von Ihnen gehört.«
»Mein Lieber, Sie haben geschlafen wie ein Murmeltier. Eine Herde Ochsen hätte Sie nicht aufwecken können. Schnell, gehen Sie, Johnny, ich bin gleich unten.«
Er ging zur Tür, und sie winkte ihm fröhlich nach.
»Machen Sie nicht ein so mürrisches Gesicht, Johnny«, sagte sie, »wir werden die Sache schon managen.«
Neunundzwanzigstes Kapitel
Es war spät in der Nacht, als sie auf der Hale-Ranch eintrafen. Die Reise hatte vier Tage gedauert. Das Wetter hatte sich klar und trocken gehalten; freilich hatten sie ganze Schlammwüsten zu durchreiten.
Die Ranchgebäude
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