Kalifornische Sinfonie
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Garnet fühlte mit leichtem Befremden, wie eine Woge des Mitgefühls in ihr aufkam. »Ich glaube, Sie wurden nie von einem Menschen wirklich geliebt«, sagte sie.
Er zuckte die Achseln. »Es gab Leute, die behaupteten, mich zu lieben. Aber was immer sie für mich empfunden haben mögen, mir wäre wohler gewesen, sie hätten mich mit ihren Gefühlen verschont.«
Er fiel wieder in Schweigen. Einen Augenblick später entfernte er sich von ihrer Seite, um einem Boy zu helfen, der sich mit einem störrischen Packpferd abplagte.
Florinda lachte über eine Geschichte, die ihr Nikolai Grigorievitch erzählte. Garnet ritt, in Nachdenken versunken, hinter ihnen. Es gibt einige Arten von Liebe, auf die Johns Skeptizismus zutrifft, dachte sie. Charles hatte ja auch behauptet, Oliver zu lieben. Und Oliver hatte gesagt, er liebe sie. Nun, Charles hatte nichts anderes getan, als sich so fest an Oliver anzuklammern, bis er das Leben aus ihm herausgequetscht hatte, wie es der Liebeswein mit den Pflanzen tat, die er mit seinen Reben umklammerte. Und Oliver? Sie hatte noch nicht Abstand genug, um sich ein klares Urteil über Oliver zu bilden; die Wunde schmerzte noch zu sehr. Eines aber war sicher: Olivers Gefühl für sie entsprach nicht der Empfindung, die sie selber hatte, wenn sie das Wort Liebe dachte.
Aber es gibt die Liebe! dachte sie, und es war ein Anflug von Trotz in ihrem Denken. Sie hatte die Liebe erlebt, die ihre Eltern verband; da war ein klares und starkes Gefühl und sicherer, verläßlicher Boden. Das war es, was sie wollte. Wenn ich wüßte, ein Mensch brächte mir ein solches Gefühl entgegen, ich könnte alles ertragen, dachte sie.
Während sie an diesem Tage nach dem Mittagessen ruhend beieinanderlagen, zeigte Garnet Florinda den Liebeswein und erzählte ihr, wie John sich darüber geäußert hatte. »Glaubst du, daß er recht hat?« fragte sie.
Florinda sah nach den gelben Flecken am Berghang hinüber und lachte kurz auf. »Du berührst da ein Gebiet, auf dem ich völlig fremd bin«, sagte sie. »Ich habe niemals geliebt.«
»Was? Überhaupt nie?«
»Nun, es gibt da schon einige, die ich gern leiden mochte«, schränkte Florinda ein. »Doch, ein paar Männer mochte ich sehr gern; eine Zeitlang wenigstens. Aber das war nie so wichtig, daß ich ihnen nicht jederzeit hätte ein fröhliches Lebewohl zuwinken können, wenn es vorbei war.« Sie lehnte den Oberkörper zurück und stützte sich auf die ausgebreiteten Handflächen. »Und«, setzte sie hinzu, »wenn du mich fragst: ich finde, das ist auch genug.«
»Nein, das ist nicht genug«, sagte Garnet fest.
Florinda sah sie mit ruhigem Lächeln an. »Doch, meine Süße«, entgegnete sie, »es ist genug. Und wenn du mir zuhören wolltest – ich könnte dir ein Lied von der Liebe singen.«
»Wie könntest du das? Du hast mir ja gerade erzählt, du wüßtest nichts darüber.«
»Hölle und Frikassee!« sagte Florinda, »ich habe auch noch keine Pocken gehabt, und weiß doch so viel darüber, daß ich sie nicht haben möchte.« Sie sprach klar und deutlich und ohne die Spur einer Erregung. »Garnet«, sagte sie, »ich habe Leute über die Liebe schwätzen hören. Und ich habe dann gesehen, was sie ihnen antat. Das Ganze ist grober Unfug, meine Liebe, und je früher du aufhörst, dich nach etwas dergleichen zu sehnen, um so eher wirst du aufhören, unter Enttäuschungen zu leiden, weil du nicht finden kannst, was du suchst.«
Garnet schüttelte den Kopf. Florinda ergriff ihre beiden Hände. Sie hatte die Handschuhe nach dem Essen noch nicht wieder angezogen; ihre Handflächen waren rauh.
»Es ist besser, du glaubst mir, Liebe«, sagte sie.
Garnet schüttelte abermals den Kopf. »Nein«, sagte sie, »es stimmt nicht, Florinda. Es ist nicht wahr. Es gibt Menschen, die sich ein Leben lang lieben, die einander beistehen in der Not und die zusammengehören wie zwei miteinander verbundene Steine in einer Mauer. Willst du wirklich behaupten, zwei Menschen, die sich so lieben, gäbe es nicht?«
»Oh, möglich«, versetzte Florinda wegwerfend. »Ein paar rothäutige Indios in Peru!«
»Florinda!« sagte Garnet mit einem leichten Beben in der Stimme, »ich spreche von meinem Vater und meiner Mutter.«
Es entstand eine Pause. »Gut«, sagte Florinda nach einer Weile. »Ich will nicht behaupten, es gäbe dergleichen überhaupt nicht. Ich habe deine Mutter nie gesehen. Aber – entschuldige, daß ich es erwähne – du sahst auch die meine nicht.«
Als
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