Kalla vom Loewenclan - Abenteuer in der Steinzeit
man für Waffen, Werkzeuge und Schmuck. Das meiste Material wurde zu Ferigal geschafft, der jedes Stück prüfte, sortierte und alles Brauchbare in seinen Lagerbestand einordnete.
»Kalla, du blutest ja!« Besorgt sah Yonna auf die kleine Schwester.
Kalla starrte auf den linken Zeigefinger. Sie hatte sichmit dem Flintschaber geschnitten und es gar nicht bemerkt.
Yonna setzte sich neben sie, und schweigend blickten die beiden hinunter zum Bach, wo die Frauen und Mädchen eifrig arbeiteten. Besonders die Frauen vom Wisent- und vom Hirschclan beeilten sich, denn sie mussten ihre Beute noch zwei Tagesreisen weit in ihre Lager transportieren. Mit geübten Griffen nahmen sie die Eingeweide aus den Tierleibern, säuberten und bündelten sie, legten sie in die ausgespülten Körper zurück und verschnürten sie. Dann wurden sämtliche Tierhäute gereinigt und aufgerollt und alles zusammen auf große Schleiftragen gebunden.Dazwischen rannten die Kinder umher und wischten mit Tierfellen das Blut auf, um zu verhindern, dass sein Geruch die wilden Tiere anlockte. Normalerweise waren alle trotz der schweren Arbeit guter Dinge, denn eine so große Beute versprach einen sorgenfreien Winter.
Diesmal jedoch war es anders. Wie eine dunkle Wolke überschattete eine seltsame Unruhe das Löwenlager. In Blagas Höhle lag die kranke Tavilana im Sterben, und in der Höhle daneben kämpfte Ixi mit den Wehen. Blaga sah, dass die zwei Frauen gleichermaßen Hilfe brauchten, und so rannte sie ständig hin und her, um den beiden beizustehen. Und dann war da noch die sonderbare Sache mit dem fremden Speer, der den jungen Flauko vor dem Schneeleoparden gerettet hatte. Als die Jäger den Speer aus dem toten Tier gezogen hatten, hatten sie am Schaft ein unbekanntes Clanzeichen entdeckt. Daraufhin hatten sie das ganze Otterbachtal durchsucht, ob sich irgendwo ein Fremder verbarg, hatten aber nichts Ungewöhnliches entdeckt.
Doch die Anspannung blieb, irgendjemand musste den Speer ja geworfen haben. Offenbar hielt sich ein unbekannter Eindringling in der Nähe versteckt. Daher hatte Irinot allen Frauen und Kindern verboten, sich außer Sichtweite zu entfernen; und wenn die Männer unterwegs waren, dann nur bewaffnet und in Gruppen.
»Schau mal!«
Kalla fuhr zusammen. Klirrend fiel der Steinschaber aus ihren Händen. Zwei riesige dunkle Augen starrten sie an, vorwurfsvoll und streng, wie ein unerbittlicher Richter, der bis auf den tiefsten Grund der Seele zu sehen vermochte.
»Ist doch bloß ein Rentier!« Vor ihr stand Aikle und hielt stolz den Kopf eines jungen Rentiers hoch.
Kalla schlug die Hände vors Gesicht.
»Kalla hat Angst vor toten Rentieren!«, rief Aikle und rannte davon, begeistert über die unerwartete Schreckensreaktion, die er ausgelöst hatte. »Kalla hat Angst vor toten Rentieren!«
Kalla sank in sich zusammen. Wenn es nur tote Rentiere wären, die sie erschreckten! Seit drei Tagen begann ihr Herz bei den geringsten Anlässen zu hämmern. Sie konnte nicht schlafen, nicht essen, stolperte ständig, ließ alles fallen. Immerzu stand das Bild der grün vernebelten Höhle vor ihren Augen, hallte der dumpfe Klang der Trommeln in ihren Ohren. Und jeden Moment erwartete sie, dass einer der Männer aufstand und anklagend mit dem Finger auf sie zeigte und rief: »Diese dort hat das Gesetz gebrochen und ist in das geheime Reich der Männer eingedrungen.«
Wie oft hatte sie die Sehnsucht übermannt, zu Mutter Sina zu laufen, sich in ihre Arme zu werfen und ihr alles zu beichten. Doch das durfte sie nicht. Niemand durfte erfahren, wo sie gewesen war und was sie gesehen und gehört hatte. Denn wenn das bekannt würde, würde es ihr ebenso ergehen wie der Frau aus dem Wollnashornclan, deren Geschichte an vielen Feuern erzählt wurde.
ICH,
Ki rt vom Antilopenclan, Schutzbefohlener des Schneehasengn eistes, der ich ins kalte Nordland und zu den Bergen im Ostland und bis zum Großen Wasser gereist bin, erzähle euch die Geschichte der Frau vom Wollnashornclan, wie ich sie an vielen Feuern gehört habe.
Der Name der Frau war Miri vom Wollnashornclan, ihr Schutztier war die Heuschrecke. Ama hatte Miri einen sehr großen Mund gegeben, dazu große Ohren und eine lange Nase, und sie hatte ihr zudem eine Stechmücke in den Kopf gesetzt. Man kann sagen, Miri war keine gute Frau. Sie vernachlässigte ihre Pflichten, unterbrach die Männer beim Sprechen und steckte ihre lange Nase in Angelegenheiten, die sie nichts angingen. Sie
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