Kalle Blomquist
Und irgendwann werden wir wohl mal Gelegenheit haben, ungestört miteinander zu reden – meinst du nicht?«
»Das ist richtig so, wie es immer in Büchern steht – ein unheilverkündendes Lächeln«, dachte Kalle und betrachtete nachdenklich das Gesicht des Blassen. Er beugte sich vor, um besser zu sehen, und im selben Augenblick knackte ein kleiner Zweig.
Onkel Einar blickte hastig umher, um zu sehen, woher der Laut gekommen war, und Kalle wurde es eiskalt vor Schreck, und der Atem stockte ihm.
»Wenn sie mich bloß nicht entdecken! Bloß nicht! Denn dann werde ich bestimmt liquidiert.«
Er begriff, daß seine Situation äußerst gefährlich werden konnte, wenn man ihn entdeckte. Es war nicht anzunehmen, daß ein Mann vom Kaliber des Blassen viel Mitleid mit einem Zeugen haben würde, der das Gespräch der letzten zehn Minuten mit angehört hatte. Zum Glück schien keinem der drei Männer viel daran gelegen zu sein, näher zu untersuchen, wer die kleine Unterbrechung verursacht hatte.
Kalle atmete erleichtert auf. Sein Herz war wieder an seinen normalen Platz zurückgesunken, als er plötzlich etwas zu sehen bekam, was es ihm wieder in den Hals Fahren ließ.
Unten auf der Straße kam jemand. Eine kleine Gestalt in einem knallroten, viel zu großen Trainingsoverall. Es war Eva-Lotte. Sie schwenkte lustig ein nasses Kleid in der Hand und pfiff ihr Lieblingslied: »Es war einmal ein Mädchen, und die hieß Josefin.«
»Wenn sie mich bloß nicht entdeckt«, wimmerte Kalle.
»Nur nicht! Denn wenn sie ›Hallo, Kalle!‹ ruft, dann bin ich erledigt.«
Eva-Lotte kam näher.
»Klar, daß sie mich entdeckt. Klar, daß sie zu unserm Kundschafterplatz raufguckt! Ach, ach, warum hab’ ich mich bloß hier raufgesetzt!«
»Hallo, Onkel Einar«, sagte Eva-Lotte.
Onkel Einar freute sich immer, wenn er Eva-Lotte sah. Aber jetzt sah er nahezu verklärt aus.
»Gut, daß du kommst, Eva-Lottchen«, sagte er. »Ich wollte gerade reingehen und sehen, ob Mutter das Mittagessen fertig hat. Komm, wir gehen zusammen.« Er winkte den beiden vor der Gartentür zu. »Auf Wiedersehen, Jungens«, sagte er. »Ich muß jetzt leider gehen.«
»Auf Wiedersehen, lieber alter Einar«, sagte der Blasse.
»Wir treffen uns wieder, da kannst du sicher sein.«
Eva-Lotte sah Onkel Einar fragend an. »Willst du nicht deine Freunde bitten, mit reinzukommen und mit uns zu essen?«
»Nein, weißt du, ich glaube nicht, daß sie Zeit haben.«
Onkel Einar nahm Eva-Lottes Hand.
»Ein andermal, kleines Fräulein«, sagte der Unangenehme.
»Jetzt … jetzt kommt es drauf an«, dachte Kalle, als Eva-Lotte am Ahorn vorbeiging. »O Gott!«
»Es war einmal ein Mädchen, und die hieß Josefin.« Eva-Lotte sang und warf gewohnheitsgemäß einen Blick zur Gabelung im Ahornbaum hinauf, dem Kundschafterplatz der Weißen Rose. Kalle blickte direkt in ihre lustigen blauen Augen.
Während vieler Jahre hatte man den Krieg der Rosen mitgemacht. Man hatte auch an einer Menge furchtbarer Fehden zwischen Indianern und Bleichgesichtern teilgenommen. Man hatte als alliierter Spion während des Weltkrieges Dienst getan. Und man hat zwei Sachen gelernt: sich nicht überraschen lassen und den Mund halten, wenn es notwendig ist. Da sitzt ein Verbün-deter im Ahornbaum, aber er hält warnend den Finger vor den Mund, und seine ganze Miene ist ein einziges: »Sei still!«
Eva-Lotte geht mit Onkel Einar weiter.
»Das einz’ge, was sie hatte, das war ’ne Nähmaschin, Nähmaschin-schin-schin, Nähma-Nähma-Nähmaschin.«
ZEHNTES KAPITEL
»Was halten Sie von dieser bemerkenswerten Unterhaltung, Herr Blomquist?«
Kalle lag auf dem Rücken unter dem Birnbaum in seinem eigenen Garten, und es war sein eingebildeter Zuhörer, der ihn wieder interviewte.
»Tja«, sagte Herr Blomquist. »Vor allen Dingen ist es klar, daß wir in diesem Kriminaldrama nicht nur einen Schurken haben, sondern drei. Und ich warne Sie, junger Mann (der eingebildete Zuhörer war besonders jung und unerfahren), ich warne Sie! Es wird sich viel in der nächsten Zukunft ereignen. Es wäre am klügsten, sich an den Abenden zu Hause aufzuhalten. Das hier wird sicher ein Kampf auf Leben und Tod, und jemand, der es nicht gewohnt ist, mit der Hefe und dem Abschaum der Menschheit umzugehen, der kann sich dabei leicht seine Nerven vollständig ruinieren.«
Herr Blomquist selbst war ja so daran gewöhnt, mit der Hefe und dem Abschaum der Menschheit umzugehen, daß sein Ner-vensystem widerstandsfähig
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