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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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legte sich ein verklärtes Lächeln auf sein Gesicht. Er war ein Edelmann der Roten Rose und pflegte seine Gefangenen nicht zu quälen. Wer aber hatte gesagt, daß man sie nicht kitzeln durfte? Versuchsweise stach er einen spielerischen Zeigefinger in Anders’ Magengrube. Es glückte über alles Erwarten. Anders prustete los wie ein Flußpferd und krümmte sich doppelt und dreifach. Nun kam Leben in die Roten. Alle auf einmal warfen sie sich über ihr Opfer. Und der arme Weiße Chef stöhnte, winselte und hatte Schluckauf vor Lachen.

    »Wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« fragte Sixtus noch einmal und tastete prüfend zwischen den Rippen von Anders herum.
    »Oh … oh … oh … oh …« keuchte Anders.
    »Wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« Benka kitzelte ihn ausgiebig unter der Fußsohle.
    Als Antwort hörte er eine Lachkaskade.
    »Wo habt ihr den Großmummrich gelassen?« wollte nun auch Jonte wissen und fingerte in Anders’ Kniekehle.
    »Ich … gebe … auf …« winselte Anders. »Draußen auf der Prärie … beim Herrenhof … geht den … kleinen Weg …«
    »Und weiter?« fragte Sixtus und hielt warnend seinen Zeigefinger in Bereitschaft.
    Aber es gab kein Weiter. Es geschah etwas völlig Unerwartetes. Man hörte ein kurzes Sausen, einen kleinen Knall – und dann lag Jontes Kammer in wahrhaft ägyptischer Finsternis da.
    Die Glühbirne unter der Decke, die einzige Beleuchtung für Jontes Kammer, war in tausend Stücke gesprungen. Der Weiße Chef war genauso verblüfft wie die Roten. Nur kam er schneller wieder zu sich. Im Schutz der Dunkelheit glitt er wie ein Aal zur Tür und verschwand. Er war frei.
    Oben auf dem Dach steckte Kalle nachdenklich sein Katapult wieder in die Hosentasche.
    »Ich werde Geld aus meinem Sparschwein nehmen und eine neue Birne für Jonte kaufen«, meinte er reumütig. Beschädi-gung von fremdem Eigentum war etwas, was einem edlen Ritter der Weißen Rose schlecht anstand, und es war deshalb für Kalle vollkommen klar, daß der Schaden zu ersetzen war.
    »Aber du verstehst doch wohl, daß es notwendig wurde«, sagte er zu Eva-Lotte.
    Eva-Lotte nickte zustimmend. »Es war absolut notwendig«, beruhigte sie ihn. »Unser Chef war in großer Gefahr. Und der Großmummrich auch. Es war also wirklich nötig.«
    Bei Jonte hatten sie inzwischen eine Taschenlampe hervorge-kramt. Mit Verbitterung stellten die Roten fest, daß ihr Gefangener entwischt war.
    »Verschwunden!« schrie Sixtus und raste zum Fenster.
    »Welcher verdammte Läusepudel hat die Lampe zerschossen?«
    Er hätte nicht zu fragen brauchen. Die Sünder standen, zwei schwarze schmale Silhouetten, auf dem Dach gegenüber. Die Silhouetten begannen einen schnellen Rückzug. Sie hatten soeben Anders’ Pfeifsignal gehört und verstanden, daß er frei war.
    Nun sausten sie in lebensgefährlicher Hast über das Dach. Es galt, von dem Dach herunter und in Sicherheit zu kommen, bevor die Roten unten waren, um sie in Empfang zu nehmen. Sie liefen ohne Furcht im Dunkel den Dachfirst entlang und bewegten sich mit der Geschmeidigkeit, die ein wildes und glückliches Leben ihren mutigen jungen Körpern geschenkt hatte.
    Sie erreichten die Leiter und kletterten in rasender Eile abwärts.
    Eva-Lotte zuerst, danach Kalle, dicht hinterdrein. An Gren dachten sie überhaupt nicht mehr. Ihre Gedanken waren bei den Roten. Grens Fenster war ohne Licht. Der Fremde schien gegangen zu sein.
    »Beeile dich, ich hab’s eilig«, flüsterte Kalle inständig über Eva-Lotte.
    Da fuhr mit einem Knall Grens Jalousie in die Höhe, und der Alte sah heraus. Das geschah so unerwartet und erschreckte sie so furchtbar, daß Kalle plötzlich seinen Halt verlor. Mit kra-chendem Plumps schlug er unten auf und hätte beinahe Eva-Lotte mit sich gerissen.
    »
So
eilig hast du es nun doch wieder nicht«, sagte Eva-Lotte sarkastisch. Sie hielt sich krampfhaft an der Leiter fest, um nicht auch noch hinunterzufallen, und wandte dabei Gren ein bitten-des Gesicht zu.
    Gren aber sah mit seinen traurigen Greisenaugen auf Kalle, der am Boden lag und nach Luft schnappte, und sagte mit noch traurigerer Greisenstimme: »Ja, ja, der Kindheit glückliche Spiele. Der Kindheit glückliche, unschuldige Spiele. Ja, ja.«

SECHSTES KAPITEL
    Eva-Lotte und Kalle hatten keine Zeit, Gren zu erklären, warum sie seine Leiter benutzten, und er selbst schien nichts sonderlich Bemerkenswertes oder Unnatürliches daran zu finden.
    Wahrscheinlich sah er ein, daß der Kindheit

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