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Kalle Blomquist

Kalle Blomquist

Titel: Kalle Blomquist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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erkannte sie.
    Sie war wohlgeformt und reichlich mit dunklen Härchen bewachsen. Jetzt wußte sie, wer der große Klaus war. Und der Schreck, der sie ergriff, war so groß, daß er sie fast zu Boden warf. Alles Blut schoß ihr aus dem Gesicht, nur um Sekunden später mit solcher Gewalt wieder zurückzuschießen, daß es in ihren Ohren dröhnte. Es war gut, daß sie mit dem Rücken zu ihm stand. So konnte er das wilde Entsetzen in ihren Augen nicht sehen und auch ihren Mund nicht, der anfing zu zittern.
    Aber gleichzeitig war es furchtbar, ihn hinter sich zu fühlen und nicht zu wissen, was er tat.
    Aber da kamen Anders und Kalle – Gott segne sie! Sie war nicht mehr allein auf der Welt. Die beiden Gestalten, die dort in ausgeblichenen blauen Hosen und nicht ganz sauberen Hemden und mit ungekämmten Haaren angetrabt kamen, waren wie ein Geschenk des Himmels für sie. Ritter der Weißen Rose, Gott segne euch!
    Aber sie war auch ein Ritter der Weißen Rose, und der durfte die Besinnung nicht verlieren. Ihr Gehirn arbeitete so fieber-haft, daß sie glaubte, der Mann hinter ihr müsse es hören. Etwas war ihr klar: Er durfte nicht bemerken, daß sie ihn wiedererkannt hatte. Was auch geschah, sie mußte ruhig aussehen. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. Ihre ganze Verzweiflung lag in ihren Augen. Die beiden da draußen aber merkten nichts davon.
    »Aufgepaßt, gleich kommen sie!« schrie Anders hinauf.
    Der große Klaus zuckte zusammen. War die Polizei schon unterwegs, um den Revers zu holen? Wer von den Kindern hatte ihn? Er mußte sich beeilen. Die Zeit drängte. Es mußte sofort etwas geschehen. Er ging nach vorn, dicht an das Fenster. Er hatte keine Wahl. Wenn sich auch sein Inneres dagegen sträubte, er mußte sich offen zeigen. Er lächelte den Jungen freundlich zu.
    »Hallo, ihr dort!« sagte er. Sie sahen fragend zu ihm auf.
    »Dürft ihr denn eine kleine Dame so allein lassen?« fragte er in einem Ton, der scherzhaft sein sollte, der ihm aber nicht gelang. »Ich war direkt gezwungen, hier hineinzugehen und ein wenig mit Eva-Lotte zu plaudern, während ihr draußen Altpa-piersammlung spieltet.«
    Darauf gab es kaum etwas zu antworten, und Kalle und Anders schwiegen abwartend.
    »Kommt rein, Jungen«, sprach der Mann hinter Eva-Lotte weiter. »Ich habe euch einen Vorschlag zu machen. Einen guten Vorschlag. Ihr könnt Geld dabei verdienen.« Nun wurden Anders und Kalle lebhaft. Wenn es darum ging, Geld zu verdienen waren sie immer bereit, sich sofort in die Startlöcher zu legen.
    Eva-Lotte saß jetzt auf dem Fensterbrett und sah sie so son-derbar an. Und sie machte mit der Hand das Geheimzeichen der Weißen Rose. Und dieses geheime Zeichen bedeutete »Gefahr«. Anders und Kalle zögerten verwirrt. Da begann Eva-Lotte zu singen.
    »Sommer ist, die Sonne scheint«, sang sie, wenn auch mit etwas zitternder Stimme. Und sie sang dieselbe frohe Melodie weiter – nur der Text war ein wenig verändert.
    »Mom ö ror dod e ror«, sang sie.
    Das klang wie ein zusammenhangloser Singsang, wie ihn Kinder sich ausdenken. Anders und Kalle aber wurden stocksteif, als sie es hörten. Sie standen wie angenagelt. Dann aber nahmen sie sich zusammen und kniffen sich wie unabsichtlich ins Ohrläppchen – das geheime Zeichen der Weißen Rose dafür, daß eine Botschaft verstanden worden war.
    »Na, beeilt euch!« sagte der Mann am Fenster ungeduldig.
    Unschlüssig standen die beiden. Aber plötzlich drehte sich Kalle um und ging mit raschen Schritten auf ein Gebüsch zu, das in der Nähe war.
    »Wo willst du hin?« schrie der Mann im Fenster ärgerlich.
    »Willst du nicht dabeisein, wenn es Geld zu verdienen gibt?«
    »Na klar«, sagte Kalle ruhig. »Aber deshalb darf man doch die natürlichen Bedürfnisse nicht vergessen, meine ich.«
    Der Mann biß sich auf die Lippen. »Beeil dich!« schrie er.
    »Ja, ja, werde ich machen«, rief Kalle zurück.
    Es dauerte eine ganze Weile. Dann aber kam er doch wieder, demonstrativ seine Hosen zuknöpfend.
    Anders stand noch auf demselben Platz. Bei ihm war nicht der Schatten des Gedankens aufgetaucht, Eva-Lotte etwa im Stich zu lassen. Er mußte zu ihr in das Haus hinein, wo sich der Mörder befand; aber er wollte Kalle dabei haben. Und nun gingen sie hinein. Anders ging vor zu Eva-Lotte und legte seinen Arm um ihre Schulter. Er sah auf ihre Armbanduhr, und dann sagte er:
    »Donner noch mal, ist das aber spät! Wir müssen nach Haus, aber schnell!« Er nahm Eva-Lotte an die Hand und

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