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Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon

Titel: Kalogridis, Jeanne - Die Seherin von Avignon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Zaubersprüche, mit denen man sich vor einem Feind schützen konnte oder die das Getreide zum Wachsen brachten.
    »Behalte es für immer«, sagte er. »In Zeiten der Gefahr - und in denen leben wir jetzt - trage es am Körper. Denn uns droht großes Unheil.«
    Ich schaute auf, wollte mich noch einmal bei ihm bedanken, doch ehe ich auch nur ein Wort herausbekam, fügte er hinzu: »Carcassonne ist ein sicherer Ort.« Noni starrte ihn an, als wäre er verrückt.
    »Herr, in Carcassonne sind alle tot oder liegen im Sterben!«
    »Trotzdem«, unterbrach er sie und war ohne ein Wort des Abschieds verschwunden - so schnell und leise, dass Noni und ich völlig überrascht und verwirrt zurückblieben. Als wir uns in der Nähe der Kate umschauten, war keine Spur mehr von ihm zu sehen.
    Noni nahm mir die Goldscheibe aus der Hand, legte sie mir um den Hals und steckte sie unter meinen Kittel, obwohl ich protestierte und vorschlug, sie solle das Amulett tragen.
    »Die Göttin hat ihn geschickt«, sagte sie über den mysteriösen Mann. »Und das Amulett war für dich bestimmt, nur für dich. Trage es immer, mir zuliebe.« Ich gab nach, denn ich wusste, dass sie Recht hatte. Als die goldene Scheibe über meine Haut glitt, spürte ich eine intensive Wärme und ein Prickeln, bei dem ich zusammenzuckte.
    Schließlich stiegen wir auf den Wagen und fuhren zum Kirchhof. Auf der Straße zum Dorfplatz kamen wir an der Leiche einer gestürzten Frau vorüber. »Sieh nicht hin«, befahl mir meine Großmutter mit scharfer Stimme, doch ich hatte bereits so viel gesehen, dass mir übel wurde. Zwei Hunde nagten am verfaulenden Fleisch der Leiche, und einem war es schon fast gelungen, einen Arm abzutrennen.
    »Heilige Mutter, steh uns bei«, flüsterte Noni. Schweigend schloss ich mich ihrem Gebet an.
    Als wir uns dem Platz vor dem Kirchhof näherten, nahm ich die ersten Anzeichen von Leben im verlassenen Dorf wahr. Zunächst roch ich eine schwarze Rauchwolke, gleich darauf sah ich sie. Vielleicht wurden Leichen verbrannt, dachte ich. Dann vernahm ich Rufe, gleich darauf qualvolle Schreie, denen man nicht anhörte, ob sie von Mensch oder Tier, von Mann oder Frau stammten. In der Mitte des Platzes brannte ein kleiner Scheiterhaufen, in dem die flammenden Umrisse eines Mannes taumelten.
    Ich erkannte ihn zunächst nicht, da er keinen Hut trug, außerdem standen seine Kleidung, seine Haare und sein Bart in Flammen. Sein Gesicht war rußgeschwärzt. Er versuchte zu entkommen und stolperte an den Rand des Feuers, sank dort auf die Knie und wurde sogleich von einem großen Leibeigenen mit einer Mistgabel wieder zurückgestoßen. Daneben standen noch drei weitere Personen, zwei Männer, von denen einer drohend einen Dolch schwang, und eine Frau. Gemeinsam verhöhnten sie das Opfer. Noni schrie vor Zorn auf, zügelte das Maultier, das unser Entsetzen spürte und bebend schnaubte. Die Frau schaute zu uns herüber. Ihr Rock und ihre Schürze waren mit dem schwarzen Blut besudelt, das Sterbende ausspucken, und ihr wirres Haar drang unter ihrer Haube hervor. Mit fiebrigen Augen blickte sie wild um sich.
    »Der Teufel hat ihn geschickt, um den Brunnen zu vergiften!«, rief sie uns zu. Mit den Augen der Göttin sah ich einen dunklen Schatten über ihrer Brust, und ich wusste, dass die Pest sie bereits in den Klauen hatte. »Der Jude ist von der Stadt in unser Dorf gekommen, um den Schwarzen Tod zu bringen! Er hat meinen Mann und die Kinder umgebracht! Alle tot! Alle tot!«
    Der Mann mit dem Dolch fiel ein: »Der Jude hat den Brunnen vergiftet und ist zurückgekehrt, um auch den Rest von uns zu erledigen! Der Jude hat die Pest aus den Stadtmauern hergebracht!«
    Plötzlich traf mein Blick den der gequälten Seele in den Flammen, jene dunklen, gepeinigten Augen, und ich erkannte den alten Mann, der bei uns gewesen war. Ich stellte mich aufrecht in den Wagen und kreischte so laut, dass unser Maultier erschrak.
    In diesem Augenblick konnte der Jude offenbar den Schmerz nicht mehr ertragen, denn er ließ sich vornüber auf die ausgestreckte Mistgabel fallen und pfählte sich dadurch selbst. Der Leibeigene hielt ihn dort, als röstete er ein Stück Fleisch, und sah befriedigt zu, bis die Leiche herabfiel.
    »Bei dem einen heiligen Gott!«, rief Noni mit zitternder Stimme, »ich würde Euch alle bis in die dreizehnte Generation für Eure Schandtat verfluchen, doch das ist nicht mehr nötig. Eure Familien sind bereits ausgelöscht, und morgen werdet auch Ihr tot

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